Vom Hof direkt auf den Küchentisch: Solidarische Landwirtschaften versorgen ihre Mitglieder – auch während der Corona-Krise. Sie schaffen unabhängige Ernährungsräume und verbinden Menschen, als auch das Land mit der Stadt.
Es wird weiter ausgesät, gepflegt und geerntet: ‚Gela Ochsenherz‘ versorgt circa 300 Mitglieder mit Bio-Gemüse – seit 10 Jahren. Gela, das steht für gemeinsame Landwirtschaft: Die Mitglieder verpflichten sich für ein Jahr sich gegenseitig zu versorgen – die meisten jedes Jahr aufs Neue. Die einen produzieren professionell, die anderen leisten einen finanziellen Beitrag oder helfen bei der Ernte – die Beitragshöhe oder Zeit für die Erntehilfe darf selbst eingeschätzt werden. Das Wagnis trägt die Gemeinschaft: Bei reicher Ernte gibt es mehr für alle, bei Missernte weniger. Die Corona-Krise hat die gemeinsame Verantwortung sich selbst zu versorgen noch stärker bewusst gemacht. Sie trifft solidarische Landwirtschaften, wie Gela Ochsenherz, weitaus weniger als die Klima-Krise: wenn die Hitze zunimmt und der Regen ausbleibt.
Österreich ist abhängig
Die Menschen in Österreich essen im Schnitt 30 Kilogramm Paradeiser pro Kopf und Jahr laut den Versorgungsbilanzen der Statistik Austria für das Wirtschaftsjahr 2018/19. Von diesen 30 Kilogramm sind nur drei bis vier Strauchparadeiser heimisch – rund 350 Gramm. Denn nur 3.000 Tonnen der in Österreich angebauten Paradeiser kommen hierzulande in die Geschäfte. 55.000 Tonnen werden ins Ausland verkauft. Das heißt nur rund ein Prozent der 270.000 Tonnen Paradeiser, die in Österreich pro Jahr gekauft werden, kommen aus Österreich. Insgesamt kaufen die Menschen in Österreich fast 110 Kilogramm Gemüse ein – pro Kopf und Jahr. Die Hälfte davon wächst in Österreich, ein Teil wird ins Ausland verkauft: Nur 28 Prozent des in Österreich gekauften Gemüses kommt aus Österreich.
Regionale und saisonale Vielfalt durch Raritäten
Über das Jahr liefert Gela Ochsenherz von Gänserndorf 80 verschiedene Gemüse- und Kräuterarten vor allem nach Wien: Beispielsweise 20 verschiedene Paradeiser- und Paprikasorten und Sortenraritäten wie Haferwurzel und Malabarspinat. Vollwertiger und vielfältiger Genuss ist der Maßstab, nicht perfektes Aussehen. Immer dienstags werden die vorgepackten Kistln an die Verteilerstandorte geliefert: Das sind oft gemeinschaftliche Wohnprojekte oder Greißlereien, die dafür Raum bereitstellen. Immer freitags wird an den Naschmarkt geliefert und dort der eigene Abholstand aufgebaut. Die Mitglieder haben die Wahl: ihr Gemüse vorsortiert im Kistl an einem der Verteilerstandorte abzuholen oder am Naschmarktstand frei zu entnehmen. Freie Entnahme, das heißt, jedes Mitglied nimmt das Gemüse, das es für die nächste Woche braucht – die Standbetreuer*innen beraten dabei, denn sie wissen wieviel von allem da ist. Es gibt kaum Verpackungsmaterial, nur Papiersäcke für Kleinteiliges oder Papp-Tassen als Transportschutz. Allfällig übrig gebliebenes Gemüse holen am Abend Initiativen, die Essen retten und verteilen.
Gela Ochsenherz war Pionierin in Österreich. Mittlerweile gibt es solidarische Landwirtschaften in ganz Österreich. Die Solawis, so die Kurzform, um Wien haben sich zu ‚SoLaWi leben‘ zusammengeschlossen, um einander zu unterstützen: sie nutzen Synergien beim Ausliefern, nutzen teils die Verteilerstandorte gemeinsam oder verarbeiten Ernteüberschüsse von- und füreinander: Denn Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, ermutigt und inspiriert – es verhindert Konkurrenzdenken und -handeln.
Dieser Beitrag ist im Juni 2020, als Gastbeitrag zu Ernährungsraum Stadt auf Energie Transition 2050 – Klima- und Energiefonds erschienen.