IGF-Vorstandsmitglied Beatrice Stude hält sich zur Zeit in Großbritannien auf und bringt Erkenntnisse mit, die sich auch auf die Radverkehrssituation in Österreich und Wien umlegen lassen. Heute der erste Teil von »Lessons from Britain«:
Londons Bürgermeister Boris und seine Räder. Auch an der Themse wird zum Thema, dass sich „Städtväter entscheiden müssen: Autos oder Fahrräder.“ Bislang ist die Entscheidung in London zugunsten der Autos gefallen, das muss in Wien anders rum sein!
Mit dem Bestreben, weitere kontraproduktive Gesetze ins Leben zu rufen, zeigt die Politik in Österreich wie „ernst“ es ihr mit der Umwelt und Nachhaltigkeit ist. Gesetze wie die Helmpflicht, eine Reduktion des Alkohollimits auf AutofahrerInnenniveau, die weiterhin bestehende Radwegbenützungspflicht etc. sind eine Gängelung der NutzerInnen des umweltfreundlichen Verkehrsmittels Fahrrad. Dass auch FahrradfahrerInnen WählerInnen sind, wird hier allzu gern vergessen. Bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen in London könnten die RadlerInnen das entscheidende Zünglein an der Waage sein.
Zwei Spitzenkandidaten
In London stehen Bürgermeisterwahlen an. Sieben KandidatInnen stellen sich zur Wahl. Natürlich haben nicht alle dieselben Aussichten auf einen Wahlsieg. Es gibt zwei Spitzenkandidaten: den derzeitigen Bürgermeister Boris Johnson und den ehemaligen Ken Livingstone. In einem Kopf-an-Kopf Wahlkampf wie diesem könnten die Stimmen der FahrradfahrerInnen wahlentscheidend sein. Aus diesem Grund will Londenersonbike.org alle radelnden LondonerInnen vereinen und mit ihnen gemeinsam der Kandidatin bzw. dem Kandidaten ihre Stimme geben, die versprechen am meisten für die Sicherheit von RadlerInnen auf den Straßen der Hauptstadt zu tun. Die Organisation beobachtet die vier vielversprechendsten KandidatInnen: Boris Johnson (Konservative), Ken Livingstone (Sozialdemokrat), Brian Paddick (Liberaldemokrat) und Jenny Jones (Grüne) – und nominiert jede Woche die Kandidatin bzw. den Kandidaten der Woche.
“Boris“ Bikes und Fahrradsuperhighways
Boris Johnson hat einige bemerkenswerte Dinge getan, die auch außerhalb der UK nicht unbemerkt blieben. Er hat ein Leihfahrradsystem in der ganzen inneren Stadt eingeführt und im Anschluss die Fahrradsuperhighways ins Leben gerufen. Aber das Beste an ihm ist, dass er oft selbst durch die Stadt radelt. Aus der Ferne betrachtet lässt all das und seine, doch etwas charmant unordentlich Erscheinung – die zerzausten blonden Haare, als wär er grad erst aufgestanden – einen leicht vergessen welcher Partei er angehört. Er stellt sich selbst gern als Fahrradbürgermeister dar, aber ist es mehr Schein als Sein oder hat er in den vergangenen vier Jahren wirklich genug für die RadlerInnen in London getan?
Zunächst einmal war das Leihfahrradsystem nicht seine Idee. Es war bereits Teil eines vom Verkehrskommitee der Stadt erarbeiteten 3-Stufen-Planes zur Erhöhung des Radanteils in der Stadt. Allerdings muss man ihm zugestehen, dass das Leihradsystem während seiner Amtszeit schnell und in weiten Teilen der inneren Stadt errichtet wurde. Leider ist noch zu erwähnen, dass es eines der teuersten Systeme in Europa ist. Die nächste Stufe waren die Fahrrad-Superhighways, die kurze Zeit später eingeführt wurden, die aber weit davon entfernt sind ihrem Namen alle Ehre zu machen. Boris Johnson hat sich gegen die Umsetzung der dritten Stufe entschieden. Somit gegen die Schaffung von Anreizen für FahrradfahrerInnen in den Außenbezirken Londons, wie die Errichtung von Radfahrinfrastruktur um z. B. Fahrräder diebstahlsicher abstellen zu können.
Gefährlich: Elephant und Castle
Darüber hinaus ist der Bürgermeister dafür bekannt erst zu sprechen und dann zu denken, was durchaus etwas über seinen wirklichen Charakter aussagen könnte. Konfrontiert mit Elepant and Castle, einer der aus RadlerInnensicht gefährlichsten Kreisverkehre in London, kommeniert er wie folgt: „Der Elephant und Castle Kreisverkehr ist vollkommen mit dem Fahrrad passierbar, solange man aufmerksam und wachsam ist.“ Dies dürfte für die 89 RadfahrerInnen und deren Verwandte, die in den vergangenen zwei Jahren hier schwer verletzt oder sogar gestorben sind, einer ziemlichen Verspottung gleichkommen. Aber es kommt noch schlimmer, Boris Johnson ist nicht nur untätig, sondern legte seinen Fokus auf die Verbesserung des Verkehrsflusses des motorisierten Individualverkehrs. Was von Herrn Paddick, dem ehemaligen Polizeichef von Lambeth (einem Stadtteil Londons) recht unverblümt kommentiert wird: „Herr Johnsons Politik der Beschleunigung des Verkehrsflusses kostet RadfahrerInnen das Leben.“ Aber es betrifft nicht nur die RadlerInnen, auch die FußgängerInnen müssen leiden, da infolge dieser Politik viele Fußgängerüberwege zurückgebaut wurden.
4.000 Todesfälle durch schlechte Luft
Londonersonbikes.org gibt auch Veranstaltungen bekannt, die mit Fahrradfahren und den Wahlen in Zusammenhang stehen. Wie zum Beispiel die Fragestunde mit vier der BürgermeisterkandidatInnen bzw. ihren StellvertreterInnen, organisiert von Livingstreets. Neben den ohnehin schon genannten Themen, war dort auch die Luftqualität ein Thema. Die Verbesserung der Luftqualität beschränkt sich derzeit weitgehend auf die Manipulation der Messdaten der EU, durch anpflanzen von Pflanzen und Bäumen in der Nähe der Messstationen in London und auftragen eines bestimmten Klebers auf der Straße, der die Partikel in der Luft einfangen soll. Da das nicht ganz billig ist, muss es wohl etwas bringen. Aber warum wird damit dann nicht auch die Luft in der Nähe von Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern aufgefrischt? Die Verhinderung von größeren Strafzahlungen an die EU auf diese ungewöhnliche Art ist in gewisser Weise verständlich. Allerdings sollte sie nur kurzfristig angewandt werden, da sie sich nur mit der Symptonbeseitung und nicht mit der Ursache des Problems auseinandersetzt.
Die schlechte Luft in der inneren Stadt Londons fordert jedes Jahr über 4.000 frühzeitige Todesfälle. Ein großer Teil der Luftverschmutzung dürfte jedoch vom Himmel kommen, da im Minutentakt Flugzeuge am Himmel der Hauptstadt zu sehen sind. Sogar samstagmorgens gegen 4 Uhr in der Früh wird man von Flugzeugen und deren Lärm auf dem Heimweg begleitet. Vorhersagen zufolge werden im Jahre 2030 die drei größten Flughäfen Londons an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen: Heathrow 85 Mio. Passagiere pro Jahre (derzeit 65 Mio.), Gatwick 40 Mio. (derzeit 30 Mio.) und Stansted 35 Mio. (derzeit 20 Mio.). Der derzeitige Bürgermeister zählt zu den Befürwortern des Flugverkehrs. Die Pläne für einen neuen Mega-Flughafen an der Flussmündung der Themse östlich von London tragen bereits den Spitznamen Boris Island, als Beweis für sein Bekenntnis und seinen Einsatz für dieses Projekt.
Autos oder Fahrräder
In der Fragestunde waren alle KandidatInnen bzw. ihre VertreterInnen mehr oder weniger gleichermaßen für FußgängerInnen- und Radverkehr, mit Ausnahme des Vertreters von Boris Johnson. Das einzig halbwegs nachvollziehbare Argument, dass er für die Wiederwahl vorbrachte, waren die guten Beziehungen zum Premierminister (der zur selben Zeit in Oxford studierte und ebenfalls Konservativer ist) und das er demzufolge der Bürgermeister ist, der für London das meiste Geld herausholen kann. Allerdings zählt nicht nur über wieviel Geld man verfügen kann, sondern vor allem wofür man es ausgibt. Sogar ein Jeremy Clarkson, der für gewöhnlich Benzin im Blut hat, lies vor kurzem verlauten, das sich ab einem gewissem Punkt „Städtväter entscheiden müssen: Autos oder Fahrräder.“ Bislang ist die Entscheidung in London zugunsten der Autos gefallen, man kann nur hoffen, dass der nächste Bürgermeister dies ändern wird.
IG Fahrrad wurde zu Radlobby Wien.
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