IGF-Vorstandsmitglied Beatrice Stude hält sich zur Zeit in Großbritannien auf und bringt Erkenntnisse mit, die sich auch auf die Radverkehrssituation in Österreich und Wien umlegen lassen. Heute der dritte Teil von »Lessons from Britain«:
Das Fahrrad ist das schnellste und daher beste Fortbewegungsmittel in der Stadt. Gilt das für jede Stadt gleichermaßen? Leihradsysteme machen es einem leicht dies auszuprobieren. Die Boris Bikes in London im Selbstversuch.
Im Vergleich gibt es einiges was sich die Wiener Citybikes von den Boris Bikes abschauen können: Netzdichte, zügiger Ausbau – vor allem die Anbindung wichtiger Orte mit entsprechender Größe der Leihstationen in der Stadt, wie Parks, öffentliche Einrichtungen, Museen; sowie einfaches zeitsparendes Entleihen. Allerdings gibt es auch etwas, dass in Wien wesentlich nutzerfreundlicher ist: das Tarifsystem.
Boris Bikes – ideal für Kurzzeit-Londoner
Wie bewegt man sich in London am besten fort? Das erste was du zu hören bekommst, wenn du jemandem von deinem Vorhaben Fahrradfahren zu wollen erzählst – wenn es sich nicht gerade um eine eingefleischte Radlerin handelt – ist: Radeln in London ist Selbstmord oder zumindest ziemlich beängstigend. Mit 16 tödlich verunglückten RadlerInnen und vielen Schwerverletzten allein 2011 ist das leider nicht nur irgendwelches Gerede, sondern Tatsache. Darüber hinaus erzählt man dir, dass es zumindest zwei Schlösser braucht, um dein Rad vor Diebstahl zu schützen. Später wirst du dann selbst festellen, dass es nur wenige Möglichkeiten zum Absperren gibt, wenn selbst Straßenlaternen in einigen Gegenden Mangelware sind. Ausreichend Gründe dich vom Radeln abzuhalten?
NEIN. Besonders dann nicht, wenn du jeden Morgen dreimal, bevor du in die U-Bahn steigen kannst, anstehen musst: Vor dem Stationsgebäude, vor den Fahrscheinbarrieren und am Bahnsteig. Meistens kommt die U-Bahn alle paar Minuten, aber oftmals ist soviel los, dass du es nicht in die erste U-Bahn schaffst, manchmal nicht einmal in die zweite. Zum Glück gibt es das noch relativ neue Leihfahrradsystem, die Boris Bikes – benannt nach Londons Bürgermeister. Wer in der Nähe der inneren Stadt wohnt, hat sicherlich eine Fahrradstation in seiner Nähe. Aber ist es die geeigneste Fortbewegung für Kurzzeit Londoner?
Leihrad bietet viele Vorteile
Du musst dir über viele Dinge erst gar keine Gedanken machen, wie Fahrraddiebstahl, dein Rad zurücklassen, wenn die unzähligen Fluchtachterln dich fahruntauglich gemacht haben. Und du hast die Möglichkeit flexibel und einfach zwischen den verschiedenen Fortbewegungsarten zu wählen: gehen, radeln und ab und an auch wieder mit der U-Bahn zu fahren oder doch mal mit dem Boot. Obwohl die Boris Bikes recht schwer aussehen und es in Wirklichkeit auch sind, sind sie erstaunlich angenehm zu fahren.
Dennoch sind sie sehr unhandlich und kaum zu tragen. Du wirst kein zweites Mal versuchen dein Boris Bike irgendwelche Stiegen hochzutragen, jeder noch so lange Umweg ist weniger mühsam. Die Räder haben drei Gänge, aber den zweiten wirst du kaum brauchen und schon gar nicht den ersten. Die Sättel sind, verglichen mit Rennradsatteln, riesig. Somit für ungeübte Hintern sehr bequem und haben auch noch einen anderen netten Vorteil: wer ein enges Kleid oder einen engen Rock trägt, kann den Sattel einfach umdrehen und hat so dennoch die Möglichkeit Rad zu fahren.
Gebühren steigen mit Leihdauer
Allerdings, wie fast alles im Leben, ist das Leihfahrradsystem nicht kostenlos. Vielmehr, musst du sogar zweifach bezahlen: ein Zugangsentgelt und eine Benutzungsgebühr. Letzteres ist nur erforderlich wenn du das Rad länger als 30 Minuten am Stück ausleihst. Das Zugangsentgelt beträgt £1 (entspricht derzeit rd. €1,20) pro Tag oder £5 pro Woche. Die Benützungsgebühr erhöht sich rasant in unverschämte Höhen je länger du das Rad benutzt. Die erste Stunde kostet £1, eineinhalb Stunden bereits £4 und bis zu 24 Stunden maximal £50.
Aber falls du etwas geizig bist oder einfach nur knapp bei Kasse und die Benützungsgebühr nicht bezahlen willst, kannst du vor Ablauf der halben Stunde das Rad zurückgeben, zur nächsten Leihstation gehen, ein neues Rad ausleihen und weiterradeln. Für jene die längere Zeit in London sind, ist es am sinnvollsten Mitglied zu werden. Der Jahresbeitrag (=Zugangsentgelt) ist £45 und für weitere £3 erhälst du einen Zugangsschlüssel, was den Vorteil hat sich nicht jedes Mal an der Säule mit der Kreditkarte ein Rad ausleihen zu müssen. Manchmal bekommst du dadurch noch das letzte verfügbare Leihrad. Auf jeden Fall ist es einfach bequemer und spart viel Zeit.
Suche nach Rückgabebox
Obwohl es mittlerweile um die 8.300 Leihräder und mehr als 13.000 Einstellplätze in ungefähr 550 Leihradstationen verteilt über die innere Stadt gibt, kommt es besonders am Rand des Leihradsystems zu Engpässen: so dass es morgens nicht immer genug Räder und abends zu wenig freie Einstellplätze gibt. Ab und an ist es deshalb notwendig zu einer anderen Leihradstation zu fahren, die gewöhnlich nicht weiter als 300 bis 500m entfernt ist. Für diese Unannehmlichkeit erstattet einem das System 15 Freiminuten.
Besonders spätabends – die U-Bahn fährt auch am Wochenende nur bis kurz nach Mitternacht – führen zu wenig freie Einstellplätze zu kleinen Rennen um den letzten freien Platz. Wer es nicht gerade eilig hat kann hierin durchaus einen gewissen Unterhaltungswert ausmachen. Für die, die in einer Gruppe unterwegs sind, kann es jedoch recht schnell etwas lästig sein, wenn man sich aufteilen muss, um die Räder wieder loszuwerden. Vor allem, weil die Boris Bikes nur für eine Person konstruiert worden sind, keinen Gespäckträger haben und vorne gerade einmal Platz für eine normalgroße Umhängetasche bieten.
Nette Briten helfen weiter
Im Allgemeinen findet sich an der nächsten Leihstation ein freier Platz. Wer nicht auf gut Glück einfach zur nächsten radeln will, kann auch die Säule befragen, wo noch Plätze frei sind. Leider gibt es keine Auskunft wo sich die nächste Station mit noch freien Einstellplätzen befindet, sondern nur eine Karte mit namenlosen Leihstationen und eine Liste mit angeführter Verfügbarkeit in den umliegenden Stationen, somit bleibt einem nur Raten über.
An diesem Punkt helfen einem manchmal die netten Briten weiter. Schließlich sind 70 Prozent der LeihradnutzerInnen wohnhaft in London. Nicht nur einmal muss ich wohl ein wenig verloren gewirkt oder beim Anblick der vollen Leihstation etwas entgeistert ausgesehen haben, wenn mir jemand – unaufgefordert – den Weg zur nächsten Station gewiesen hat.
Mit Smartphone geht es schneller
Wie auch immer, wer ein Smartphone sein eigen nennt und auch noch mobilen Internetzugang hat, bekommt alle Informationen mithilfe einer ansprechenden App. Nun, fast alle, da es scheint als wenn die App und die Karte mit den verzeichneten Stationen (die alle Mitglieder des Systems zugesandt bekommen) nicht mit der Ausweitung des Leihradsystems Schritt halten kann.
Das Barclays Leihradsystem, so der offizielle Name für die Boris Bikes, wurde erst kürzlich nahezu bis zum Olympiapark ausgebaut und verdichtet. Ungefähr 2.300 Fahrräder und 4.800 Einstellplätze kamen hinzu. Laut der Greater London Authority hat die Barclay Bank bereits £25 Mio. in den ersten fünf Jahren in das System investiert und wird noch einmal soviel bis 2018 bereitstellen. Die ersten £25 Mio. stellten ein Fünftel der Erstinvestition des Leihradsystems dar.
IG Fahrrad wurde zu Radlobby Wien.
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