IGF-Vorstandsmitglied Beatrice Stude hält sich zur Zeit in Großbritannien auf und bringt Erkenntnisse mit, die sich auch auf die Radverkehrssituation in Österreich und Wien umlegen lassen. Heute der sechste und letzte Teil von »Lessons from Britain«:
Oxford, nur ca. 100 Kilometer von London entfernt, ist im Vergleich zu London ein Paradies für RadlerInnen. Hier zeigt sich das die richtigen bzw. nicht vorhandenen nationalen Gesetze für den Radverkehr in Verbindung mit entsprechenden lokalen Bedingungen nahezu optimale Verhältnisse schaffen können. Das geht soweit das sich im Berufsverkehr die AutofahrerInnen in den Radverkehr einzureihen scheinen.
Diesen Sommer werden die RadlerInnen die Radwege in Wien sprengen, und dürften sich – da die Benützung des Radweges unzumutbar geworden ist – in den Straßenverkehr einordnen. Eine rechtzeitige Reaktion seitens der Regierung, konkret die Aufhebung der Radwegbenützungspflicht als ersten großen Schritt, wäre schöner. Ein zweiter Schritt der Stadtregierung wäre die Abschaffung der Stellplatzverpflichtung, denn wer Parkplätze (an)bauen lässt, der wird motorisierten Individualverkehr (MIV) ernten. Wie Parkplatzknappheit und eingeschränkte Zufahrtsmöglichkeiten für den MIV optimalen Boden für Rad- und Fußgängerverkehr bereiten, zeigt ein Blick nach Oxford.
Ein Fünftel StudentInnen
150.000 EinwohnerInnen leben in Oxford, davon sind rund 30.000 VollzeitstudentInnen an den 38 öffentlichen und 6 privaten Colleges mit jeweils angeschlossenen Wohnheimen, die zusammen die University of Oxford bilden. Das vergleichsweise klein wirkende Zentrum wird von einem Grüngürtel aus Erholungs- und Sportflächen der Colleges umgeben, an denen sich außen weitere Wohn- und die Gewerbegebiete anschließen. Aufgelockert wird das ganze durch die Themse und vielzählige Kanäle.
Eine Helmpflicht, ob für jung oder alt, gibt es in Großbritannien nicht. Eine Radwegbenützungspflicht ist den Briten auch unbekannt, und ein Limit für den Alkoholgenuss für RadlerInnen fehlt ebenfalls. Ein pensionierter in Oxford ansässiger Polizist hat mir erklärt, dass ursprünglich alle Gesetze auf Kutschen ausgerichtet waren, Fahrzeuge mit vier Rädern also. Mit einem Lächeln fügte er noch hinzu, dass er auch immer mit dem Rad ins Pub fährt.
Zu diesen wohlwollenden nationalen Rahmenbedingungen kommen noch die aus Radverkehrssicht idealen lokalen hinzu:
- Zentrum gesperrt für MIV (motorisierten Individualverkehr): zufahren dürfen nur RadlerInnen, kommunaler Busverkehr und Taxis, der Lieferverkehr ist teilweise zeitlich beschränkt
- Fußgängerzonen morgens und abends beradelbar: nur von 10:00 Uhr vormittags bis 18:00 ist der Cornmarket und die Queens Street für RadlerInnen gesperrt – in dieser Zeit haben es allerdings oftmals schon FußgängerInnen schwer durchzukommen
- Tempolimit 20 mph (entspricht 32 km/h): zu großen Teilen auf auf Hauptstraßen vor allem mit hohem Geschäftsanteil
- viele Abstell-/Absperrmöglichkeiten für Räder: wenn man die Eisenzäune, an denen das Absperren von Rädern gestattet oder zumindest geduldet wird, mit einschließt – zu bestimmten Zeiten sind selbst freie Plätze an letzteren Mangelware
- wenig Pkw-Parkplätze im Zentrum: der Besitz eines Autos macht vor allem für die StudentInnen wenig Sinn und aufgrund der nahezu flächendeckenden historischen bzw. alten Bausubstanz sind private Parkgaragen nahezu inexistent
- ausgedehntes Parkpickerl: £50 pro Jahr und Auto (umgerechnet über €60) sind zu zahlen, ab dem dritten Auto £100 und ab dem vierten Auto £150, sofern mehr als zwei Autos erlaubt sind
- das Stadtzentrum ist Kurzparkzone: die Parkgebühren beginnen bei £1 für bis zu 30 Minuten (umgerechnet rund €1,25), varieren danach, so dass für zwei Stunden bis zu £4 zu zahlen sind
- teure Parkhäuser: zwischen £2,40 und £3,90 kostet die Stunde, über vier Stunden £11,50 bis £16,70 und 24 Stunden bis zu £30,30 (umgerechnet rund €38)
- hohe Strafen für Parksünder: wer innerhalb von 14 Tagen seinen Strafzettel begleicht zahlt £50, danach £100
- unzureichender öffentlicher Verkehr: radial auf das Stadtzentrum zulaufende Buslinien und kaum vorhandene Direktverbindungen zwischen den äußeren Bezirken verleiden die Benützung. Der privatisierte öffentliche Verkehr wird von zwei konkurrierenden Busunternehmen betrieben. Diese haben es Ende 2011 endlich geschafft einige Linien zu koordinieren und den Preis nahezu halbiert: Tagesticket von £6 auf £3.70 und die Jahreskarte von £650 auf £350 gesenkt
Im Berufsverkehr ist man ohne Übertreibung sogar zu Fuß meist schneller. Eine tägliche Wegstrecke von rund 6 Kilometern von einem der äußeren Wohngebiete übers Zentrum in einen anderen Teil der Stadt dauert 20 bis 25 Minuten mit dem Rad, mit dem Bus schon einmal über eineinhalb Stunden. Hier helfen die teilweise am Straßenrand aufgemalten zwar sehr schmalen Mehrzweckstreifen, da sie das entlangradeln an der Blechlawine erleichtern.
Die AutofahrerInnen und RadlerInnen führen ein gleichberechtigtes Dasein. Die gegenseitige Kommunikation und Rücksichtnahme fällt zumindest jeder Person sofort positiv auf, die einmal in London geradelt ist. Hier und da sieht man noch zusammenhangslose auf den Gehsteig aufgemalte Radwege, die aber nahezu völlig seitens der RadlerInnen und der FußgängerInnen ignoriert werden. Vor allem von letzteren zurecht, da nebendran kaum Gehsteig übrig geblieben ist.
Wer dem motorisierten Verkehr einmal ausweichen will kann durch die großen Grün- und Sportanlagen oder auf den schmalen Wegen entlang der Themse oder einer der vielen Kanäle radeln. Dort ist das Tempo zwar langsamer, da man die Wege mit FußgängerInnen teilt, aber ab und an eine schöne Alternative. Manchmal muss man dort dann auch den radelnden TrainerInnen ausweichen, die ihren RuderInnen auf der Themse Anweisungen zurufen.
IG Fahrrad wurde zu Radlobby Wien.
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