Überraschung im Osten: Ist das wirklich Moskau?

Moskau ist nicht mehr die Verkehrshölle, die es noch vor acht Jahren war. Zumindest während des Marmeladenfestivals.

Moskau! Hier Gehsteigverbreitung, da Radwegbau und städtisches Leihradsystem, hier einladende Platzgestaltung, dort Sperrung einer sechsspurigen Straße für ein Festival. Ist das wirklich Moskau?

Trotz kyrillischer Schrift fühlt sich die Stadt sehr mitteleuropäisch an. Seit dem Jahr 2010 haben der neue Bürgermeister Sergei Sobjanin und sein Team einiges umgesetzt. Von meinem Besuch vor acht Jahren hatte ich die russische Hauptstadt noch als Verkehrshölle in Erinnerung. Diese Erinnerung sollte sich nach einigen Tagen jedoch wieder bestätigen.

Es ist Ende August, mit 30 Grad ungewöhnlich warm und das Leben spielt sich draußen ab. Musik, Tanz, Klavierspiel im Gorki Park. Da stört es auch nicht wenn dieses Leben den Radweg blockiert. Die ersten Tage komme ich nicht raus aus der Inneren Stadt. Seit November 2012 ist das Parken hier kostenpflichtig. Es ist angenehm wenig los. Die neuen Ampeln zählen die Sekunden bis zur Grünphase sowohl für Pkw als auch für den Fußverkehr. Ampeln für Radverkehr gibt es nicht und Radwege enden, wenn ihre Weiterführung zu kompliziert wird.

Am Wochenende liegt mir der sechsspurige Theater Prospekt nahe des Kremls autofrei zu Füßen. Djenvarenije, das Marmeladenfestival findet heuer zum ersten Mal statt. Essen, Bands, Platz zum Flanieren – herrlich. Nur die vereinzelten Proteste gegen die politisch motivierten Inhaftierungen verleihen dem Ganzen den schalen Beigeschmack von „Brot und Spiele“.

Werktags kehrt die Verkehrshölle zurück

Werktags ist sie wieder da, die Verkehrshölle. Mein Spaziergang entlang des Kremls endet abrupt: keine Querung, keine Unterführung – ich muss einen Umweg von über einem halben Kilometer gehen. Die Regierung scheint weniger zu Fuß unterwegs zu sein. Das Radfahren konzentriert sich wie das Grün in der Stadt auf Parks und Boulevards, oder riesige autofreie Flächen wie das Ausstellungsgelände WDNH. Das mit seinem 75. Geburtstag in die Jahre gekommene Areal wird gern genutzt.

Im Park borge ich mir auch ein Rad aus, da das städtische Leihradsystem vorrangig für Einheimische errichtet wurde: Die russische App ist zwar leicht verständlich, doch wird die Angabe einer russischen Telefonnummer verlangt. Der Radverleih überrascht mit außergewöhnlichen Modellen: Strida SX, Tandems und Beachcruiser. Ich wähle den Cruiser für eine Ausfahrt entlang der Moskwa.

Fazit

Der hochwertige Freiraum sowie die oft konsumfreie Unterhaltung und Kultur für alle in den Parks beeindrucken mich sehr. Radverkehr wäre neben der Metro die optimale Erweiterung dieses Angebots: einer für alle zugänglichen, sozial gerechten Mobilität.

Weitere Informationen

Drahtesel – Das österreichische Fahrradmagazin 4/2014 – zum online Durchblättern