Ein Interview mit Ernst Reepmaker von der Intiative CDS – Centrum für Dramaturgische Studien.
Ihr wollt für die Freie Szene einen freien Kulturort ins Leben rufen – warum?
Die heutige Situation für die meisten frei arbeitenden Podium-Künstler*innen lässt sich anhand eines Bildes verdeutlichen: Ein Bauer geht in den Hühnerstall mit rund 240 Hühnern. Er hat nur 40 Maiskörner, um sie zu füttern. Jetzt geht er in den Stall und sagt zu sich selbst: „Wie mach ich das jetzt? Gebe ich zehn Hühnern jeweils vier Körner, dann haben die wenigstens etwas davon. Die anderen bekommen dafür nichts. Ich könnte aber auch die 40 Körner nochmals zerteilen und allen Hühnern jeweils ein Sechstel Maiskorn geben. Dann ist mein Gewissen etwas beruhigt: es kriegen alle wenigstens das Gleiche. Aber so oder so, es ist einfach zu wenig!“ Die Hühner werden sich gegenseitig zerfleischen vor Neid und der Bauer muss mit seinem Frust fertig werden … Alle Hühner aber schauen hinauf zum Bauer und erwarten von diesem ihr Futter.
Können sich diese Hühner denn eigentlich „frei“ nennen? Sie sind beisammen in dem Stall, aber könnten sie denn anders? Was bräuchte es dazu? Im Grunde genommen ist es fraglich ob der Name „Freie Szene“ stimmt. Ein Großteil dieser KünstlerInnen und Ensembles ist abhängig von Subventionen von Bund und Stadt. Sonst könnten sie nicht leben!
Ich bin seit 1986 als freier Bühnen-Künstler und seit 1997 in der Freien Szene im Bereich Tanz-Theater und Organisation tätig und ich habe den erwähnten Neid unter den KollegInnen und den realen Frust als Dauerbegleiter zu Genüge kennen und ertragen gelernt. Jeder arrangiert sich mit diesen beiden Schattengestalten.
Wie wollt ihr das ändern?
Heute ist es praktisch so, als ob die Hühner dem Bauern auch noch Miete zahlen würden. Wie kann man eine solche Lage wirklich neu denken? Hier muss ganz anders konzipiert werden. Die Grundidee ist den Kulturort von finanzieller Belastung zu befreien. Die Mieten sollen so gering werden, dass die KünstlerInnen durch die Nutzung der Räume profitieren können. Das Mietgeld fließt in den Kulturort selbst und verbessert seine Gesamtlage. So kann dieser Ort selbsttragend werden – ein freier Ort.
Wir wollen eine organisatorische Infrastruktur aufbauen, wodurch jeder Künstler Vorteile daraus zieht, dass die anderen auch da sind. Dass man eine Gemeinschaft herausbildet. So bekommt jede Gruppe ein größeres Umfeld. So entsteht eine Situation wo alle durch die Präsenz der anderen gewinnen.
Wer steht hinter CDS?
Wenn ich alle zusammenzähle, dann würden es wohl momentan an die fünfzig sein. Das heißt Künstler, die zugesagt haben, dass sie sich mit der Sache verbinden werden. Die Künstlerinnen und Künstler sind natürlich gut vernetzt. Diese Vernetzung kommt mit in die Initiative.
Sobald wir angefangen haben neue Dinge zu denken, dann passiert es: Es tauchen andere Initiativen auf – wie beispielweise Smart. Die versuchen für die Freie Szene Finanzmanagementtools anzubieten. Wo den Künstlern gewisse Arbeiten abgenommen werden, die diese sonst neben ihrer künstlerischen Tätigkeit machen müssen, z.B. Buchhalten oder den gesamten Vertragsabschluss. Smart fordert die Künstlerhonorare ein und zahlt die Honorare pünktlich aus – auch wenn diese erst später von den Veranstaltern kommen sollten. Smart bietet ein enormes Know-how.
Eine weitere Idee ist eine Gastronomie aufzubauen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Behinderungen. Das ist wieder so eine Initiative. Die sich mit uns verbinden wird. Reale Arbeitsmöglichkeiten mit Betreuung für diese Menschen anzubieten.
Wir wollen diese Initiative für einen freien Kulturort offen gestalten. Wir wollen Beziehungen eingehen. Wir wollen im pädagogischen Bereich arbeiten. Soziale Kompetenzen und dialogische Fähigkeiten über künstlerische Projekte aufbauen, einem interkulturellen Dialog Raum geben und gestalten – selbstverständlich im 10. Bezirk!
Warum habt ihr dafür Favoriten ausgesucht?
Die Situation im 10. Bezirk ist, dass Lebensqualität und Nachbarschaft von den Bewohner*innen als sehr schlecht empfunden werden. Wir freuen uns, dass uns gerade die Gebietsbetreuung sehr helfend unterstützt.
Wir wollen unsere Kunst, unsere Auffassung von Kultur in die Umgebung tragen und auf- und mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen abstimmen. Wir wollen kein Programm, das auf Basis von Subventionen hochgehalten werden muss. Es soll durch den Dialog mit den Menschen im Umkreis seinen Wert bekommen und das Einkommen entstehen. Wir werden aktiv mit vielen bestehenden Kulturorganisationen Kooperationen suchen – wie ImPulsTanz, Caritas, Brunnenpassage und natürlich bestehenden Initiativen vor Ort. Das können auch ganz kleine sein. Dadurch, dass wir hier eine gesellschaftliche Aufgabe übernehmen, wird es unter Umständen interessant hier zu fördern.
So bedeutet FREI in diesem Sinne: Wenn ich mich im Dialog mit meiner Umgebung auf Notwendigkeiten oder Chancen und Möglichkeiten einstelle und damit arbeite, dann werde ich frei. Das steht in großem Gegensatz zu dem Frust, der sich derzeit entwickelt. UND dass durch die Kulturarbeit die Lebenssituation der Menschen verbessert wird – jener Menschen, die dort wohnen.
Es ist mittlerweile bekannt aus vielen Großstädten, dass die Künstlerarbeit viele positive Folgen gehabt hat, zum Beispiel ExRotaprint in Berlin. Die Kultur hat in vielen Bereichen weitaus bessere Lebensbedingungen geschaffen. Und nach einer gewissen Zeit haben sich dort viele verschiedene neue Menschen angesiedelt.
Die Attraktivierung hat auch eine dunkle Seite: die Gentrifizierung. Wodurch auch der ökonomische Druck auf das Kulturhaus von außen steigen könnte…
Da gibt es mit euch zum Glück die RASENNA Initiative, die hier den Druck beziehungsweise die Bedrohung im Zuge der Gentrifizierung von unserem Kulturort fernhalten soll. Und uns hier dauerhaft Sicherheit bieten kann.
Warum ist euch die Kombination mit der Rasenna Initiative so wichtig?
Darauf habe ich zwei Antworten: Prinzipiell halte ich für sehr wesentlich, dass es eine Initiative wie Rasenna gibt. Die dafür eintritt, dass Boden anders betrachtet wird, statt als Spekulationsobjekt. Boden muss primär ein Möglichkeitsraum sein und nicht ein Finanzobjekt! Das andere ist, dass man Boden eigentlich nicht besitzen kann – das ist für mich ein Unding.
Rasenna greift beide Aspekte auf und setzt sich aktiv dafür ein. Als Gruppe tragen sie zur Verbreitung dieser Gesichtspunkte bei, nicht über Revolution, sondern über reale Initiative, Konzepte und Kontakte – und arbeiten an der unmittelbaren Umsetzung dieser Ideen.
Als Mensch bin ich sehr beglückt, dies mit Rasenna als Gruppe zu betreiben. Da sich hier in mehrere Richtungen die verschiedenen Kompetenzen gut verknüpfen. Dadurch werden Dinge bearbeitet, die CDS allein nicht abdecken kann. Rasenna ist uns hier eine enorme Hilfe bei der Verdichtung des Gedankengutes – Prinzipien, Statuten, Organisation et cetera – sodass sich diese unsere offene Gesinnung auf Augenhöhe dann auch verwirklichen und leben lässt. Der Gedanke gelangt damit bis ins Wort, sodass man sich darauf wirklich abstützen kann. Und das gibt viel Vertrauen.