Aus der Besetzungsbewegung infolge der Finanzkrise 2008 wuchs die Überzeugung, dass Genossenschaften die digitale Welt brauchen, um überleben und ihre Wirkung entfalten zu können. Die Konferenz „Open:2017 cooperative platforms“ fand Anfang des Jahres an der Goldsmith-Universität in London statt und war die erste Veranstaltung ihrer Art in Europa, um freie Software mit Genossenschaften und Allmende zu verbinden. Dabei geht es weder um Technologielösungen, noch wird ein bestimmter Lebensstil propagiert – es geht um das ethische Bekenntnis!
„Airbnb, Uber & Co. ist Kapitalismus mit Aufputschmitteln!“,
eröffnete Trebor Scholz von der NewSchool LANG in New York die Open:2017. Diese Plattformen wollen nur eines: Profit machen. Sie setzen kurzerhand unsere Gesetze außer Kraft, die wir lange gesellschaftlich ausverhandelt und teils erkämpft haben. Indem wir diese Plattformen nutzen, haben wir alle gemeinsam Kapital geschaffen und einige Leute sehr reich gemacht. Dabei haben wir die Kontrolle über unsere Daten, unsere Mitbestimmung der Arbeitsbedingungen und lokale Steuerhoheit abgegeben. Parallel dazu wächst modernes Tagelöhnertum. Laut deutschem Institut für Wirtschaftsforschung arbeiten bereits 1,5 Millionen Menschen in Deutschland in Arbeit auf Abruf. Das heißt: reduzierte Lohnnebenkosten und minimiertes Auslastungsrisiko für die Arbeitgeber, jedoch unkalkulierbares (Lebens-)Modell, finanziell und zeitlich, für die Angestellten. Österreich ist da anders – noch! Hier hat der oberste Gerichtshof die Bedarfsarbeitsverträge, wie sie hierzulande heißen, als sittenwidrig abgestraft, auf Klage der Arbeiterkammer.
Weder Technologie noch Digitalisierung sind das Problem mit Uber, Amazon und Co., sondern deren Geschäftsmodell. Keine Werte, nur profitgetrieben – Gewinnmaximierung Weniger statt Existenzsicherung für viele. Die Gewerkschaften im Vereinigten Königreich kämpfen nur für die Rechte ihrer Mitglieder. Darin liegt ein Teil des Problems. Selbstständige haben im Vereinigten Königreich derzeit keine Lobby. In Österreich gab es Verbesserungen, aber es ist kaum nachvollziehbar, dass die Sozialversicherungsbeiträge für Vielverdiener gedeckelt sind, hingegen Anreize und Entlastung für diejenigen, dieweniger verdienen, fehlen, wie sie beispielsweise dieprogressive Einkommenssteuer vorsieht. Ein Blick nach Belgien zeigt, wie sich eine Genossenschaft – SMart – entlang der Bedürfnisse ihrer Mitglieder entwickelte und bei Bedarf als Gewerkschaft auftritt. Beispielsweise hat SMart für ihre Fahrradkuriere bessere Konditionen mit Lieferdiensten wie deliveroo ausverhandelt. SMart hat heute über 75.000 Mitglieder, denen sie die Bürokratie abnimmt. Auf Wunsch stellt SMart die Mitglieder bei sich an und zahlt das Honorar pünktlich aus – unabhängig davon, wann und ob der Auftraggeber zahlt.
Mitgestalten setzt Zugang zu relevanten Informationen voraus; alles andere ist Glauben und weit weg von Selbsthilfe, Selbstgestaltung und Selbstverantwortung – den Grundpfeilern genossenschaftlichen Wirtschaftens. Eigentümerschaft ist der Schlüssel zur Mitbestimmung. Mit genossenschaftlichen Plattformen können wir uns die Entscheidungshoheit zurückholen. Denn der Wandel kommt von den Menschen, nicht von der Regierung. Aber die Regierungkann auf effektive Weise unterstützen.
Kooperative Plattformen als Antwort auf Airbnb, Uber & Co.? Im Vereinigten Königreich gibt es keine Rechtsform für Genossenschaften. Alles kann eine Co-op sein. Was zählt, ist das Geschäftsmodell, wie Entscheidungen getroffen und der Gewinn verteilt wird. Was aber ist eine kooperative Plattform? John Hagel III definiert sie so:
Eine genossenschaftliche Plattform ist die Anstrengung, weitgreifend die Bedingungen des Wettbewerbs für einen Marktsektor neu zu definieren.
John Hagel III
Die Erschaffung von Allmende auf diesem Wege, in der digitalen und in der realen Welt, ist essentiell für die Gestaltbarkeit unserer Zukunft. Denn Allmende sind menschliche Regelwerke, die durch Kommunikation entstehen. Menschen kommunizieren miteinander über die Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen, um sie zu erhalten, wie Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elenor Ostrom belegte.
Die Genossenschaftsbewegung ist da. 250 Millionen Menschen sind in Genossenschaften tätig, weltweit. 2,6 Billionen Euro Umsatz werden durch die größten 300 Co-ops generiert. Viele weitere sind erfolgreich, wie die Phone Coop UK, die die Open:2017 sponserte. Oder wie Stocksy, eine Plattform für Fotografie, die zeigte, dass Profitplattformen genossenschaftlich umgesetzt werden können. Stocksy begann mit 1,4 Millionen Euro und der Kompetenz der Menschen, die von istock wechselten. Nach einem Jahr arbeiteten sie kostendeckend, heute ist Stocksy 8,3 Millionen Euro wert und in Eigentümerschaft der Kreativen selbst.
Co-ops könnten den Mediensektor erobern. Die Diskussion um Twitter zeigt das Potenzial für genossenschaftliche Eigentümerschaft der Nutzer*innen von sozialen Medien. Unzufriedenheit mit der BBC, als nicht vielfältig genug und zu nah an der Regierung, war Ausgang für die Initiative ProgressiveTV, einer nationalen Fernseh-Co-op. Eine weitere ist Radio re-publika, die ernsthafte Nachrichten per App und Podcasts anbieten will: „Du bezahlst, wir berichten. Sonst sind wir niemandem verpflichtet.“ Unabhängige Finanzierung schafft unabhängige Nachrichten.
Viele weitere Beispiele existieren: wie Fairmondo, ein genossenschaftlicher Marktplatz für verantwortungsbewussten Konsum und Tauschen, mit der Vision, relevant für Amazon zu werden. Wie dem lokalen Pendant zu Uber in Denver, wo die Taxler sich genossenschaftlich organisiert haben und 37 Prozent Marktanteil halten. Oder beim Open Food Network UK, die die Plattform-Lösungen von Australien übernommen haben. Infolge ihrer hohen Interoperabilität, die sogar die Bestellung von Zitrusfrüchten oder Avocados aus Spanien leicht abwickeln lässt, nutzen diese auch Foodcoops in Frankreich und Skandinavien.
Die Soft- und Hardware gemeinschaftlicher Organisation kostet. Update, Betreuung, Support – wir zahlen dafür. Indirekt, wenn wir beispielsweise Google-Spreadsheets nutzen, da unsere Daten verwertet werden. Oder direkt, bestenfalls bekennen wir uns zu freier Software und tragen gemeinschaftlich die anfallenden Kosten und zahlen die notwendige Arbeitsleistung. So verbleibt die Eigentümerschaft bei uns und damit die Mitbestimmung.
Und Österreich? Es ist einiges in Bewegung: SMart.At – Büro für Künstler*innen und Kreative, Rückenwind – Förderungs- und Revisionsverband gemeinwohlorientierter Genossenschaften, CrowdCoopFunding – die genossenschaftliche Form des Crowdfundings, die WoGen – Wohnprojekte-Genossenschaft und die Munus Stiftung – Boden für gutes Leben zur Absicherung von Allmende sind derzeit in Gründung, im Aufbau oder schon am Wachsen.
Das alles bewegt sich noch auf einem sehr niedrigen Niveau. „Wir müssen kooperieren, um relevant zuwerden!“, schließt Trebor Scholz, Mitbegründer desneuen Netzwerks platform cooperatism, das einen kostenlosen Onlinekurs plant: genossenschaftliches Lernen für alle. Die Zukunft lautet Vielfalt und Kooperation, ein Bekenntnis zu freier Software und Allmende, sowie eine Koexistenz mit der Investoren-Welt. Es ist keine Frage der Werkzeuge, es ist eine Frage der Haltung. Wir alle treffen mit unserem Geld eine Wahl – geben wir es in Genossenschaften und kooperativen Gemeinschaften aus.
SOL Magazin – Solidarität – Ökologie – Lebensstil Nr. 168 – Sommer 2017