Daseinsvorsorge und Nahversorgung im weiteren Sinne sind Grundlage und Voraussetzung eines guten Lebens für alle. Der Fragestellung wie hier unterstützt und gestärkt werden kann, hat sich der Workshop Nahversorgung für alle in der Donaustadt auf dem Gutes Leben für alle Kongress gestellt. Die Donaustadt, ein Flächenbezirk der Stadt Wien – der sehr schnell wächst – wurde bewusst in den Fokus gerückt, um gemeinsam mit Verwaltung, Politik, Planung, NGOs, Forschung sowie Initiativen vor Ort an konkreten Beispielen die Problemfelder und Potentiale von Nahversorgung zu erörtern.
Zwei Beispiele mit ihren Beweggründen und Erfahrungen haben wir porträtiert. Sie bieten Anregungen zum Nachahmen und Vernetzen. Zum Einen das Jugendzentrum Hirschstetten, dass den öffentlichen Park vor seiner Haustür betreut und vor Ort eine Gemeinschaft herausgebildet hat, nicht zuletzt mithilfe der eingeführten Gemeinwesenwährung Loop. Zum Anderen die Kleine Stadt Farm, die als Dach zahlreiche Initiativen verbindet und damit gemeinschaftliches Landwirtschaften und vieles mehr. Eines ist beiden gemein: Raum, der für alle Menschen offen ist.
Die Kleine Stadt Farm
Mitte Dezember erzählt Mike Graner – einer der Gründer der Kleinen Stadt Farm – wie aus Ehrenamt sinnvolle bezahlte Tätigkeit werden kann, und wie letztendlich alles ineinander greift: gemeinsam Landwirtschaften, Foodcoop und Bausteln.
Viele garteln gemeinschaftlich hier am Naufahrtweg, nahe der S-Bahn-Station Lobau. Dennoch gibt es auch Einzelparzellen. Undogmatisch, vor allem für jene, die noch keine Vorstellung haben wie dieses gemeinschaftliche Landwirtschaften funktionieren kann. 75 Quadratmeter kosten 180 Euro. Im Jahr. Das ist der Kostenanteil für die Pacht und Investitionen. Die vier Hektar, gepachtet von der Stadt Wien, nutzen eine Vielzahl von Initiativen unter dem Dach der Kleinen Stadt Farm. Initiativen wie Operation grüner Daumen, die Lobauer*innen, Nalela – Natur leben landwirtschaften und in Wien ansässige Philipinos. Letztere unterstützen damit Verwandte in ihrer Heimat. Ein Teil ist nicht verpachtet, sondern seit 17 Jahren von den Permablühgärtnern und ein Teil von SoliLa – Solidarisch Landwirtschaften besetzt. Und es gibt ein Schulprojekt für 10 bis 14 Jährige. Die Kleine Stadt Farm erstreckt sich über den alten Polzerhof bis zum Schillerwasser. Eines fällt auf. Es ist ein wenig ordentlicher hier, südlich des Naufahrtweges. Ein Spiegelbild dessen was beabsichtigt ist. Hier liegt unternehmerisches Handeln zugrunde: Aquaponik, Alpaka, Ziegen und Anbau in Glashäusern, daneben die Lebenskoppel. Hier werden Tiere als Therapie gehalten und aufgezogen. Pferde, Esel und Hühner – tiergestützte Intervention für Kinder und Jugendliche, als auch Demenzkranke. Doch hier ist noch nicht Schluss, vis-á-vis vom Schillerwasser, will sich die Kleine Stadt Farm auch auf den Lobauerhof erweitern und zum ersten Mal den Vermögenspool zur Finanzierung einsetzen.
Drei Menschen haben 2011 die Kleine Stadt Farm ins Leben gerufen: Nikolai Ritter, Patricia Ermes und Mike Graner. Zur Kleinen Stadt Farm gehören auch Initiativen wie die Wildrauke in Floridsdorf oder der gemeinschaftliche Dachgarten auf der Wiparkgarage in Neubau, als auch der Garten der Begegnung in Traiskirchen. Bis 2016 arbeiteten Nikolai und Mike ehrenamtlich, doch war es immer das Ziel von dem was sie gerne tun auch einfach und gut Leben zu können. 2016 wurden sie Berater für „grüne“ Berufe und damit Partner für eine Ausschreibung des Europäischen Sozialfonds. Sie gewannen und nun entsteht ein sozioökonomischer Betrieb mit fünf Bereichen für die Ausbildung langzeitarbeitsloser Jugendlicher. Landwirtschaften und Gastronomie, oder besser die Verarbeitung von Lebensmitteln, letzeres übernimmt Mike.
Die Pachtverträge laufen nur fünf Jahre. Mehr untersagt der Rechnungshof. Wenn niemand kündigt, läuft der Vertrag um ein Jahr weiter. Revolvierend. Doch die Gefahr, dass hier einmal abgesiedelt werden muss ist gering, da die ganze Fläche im SWW – Schutzgebiet Wald- und Wiese liegt. Ein Streifen Landwirtschaft gerahmt von fünfzehn Meter breiten Baumstreifen. Im Anschluss auf der einen Seite eine Reihenhaussiedlung und auf der anderen Seite ebenfalls Wohnen. Die Sicherheit hat auch einen Preis. Bereits das Errichten von Spalieren ist ein größeres Unterfangen. Die Holzpfosten dürfen eine gewisse Stärke nicht überschreiten, sonst müssten sie für den Landschaftsschutz wieder entfernt werden. Die Gartenhütte darf stehen, sie wurde genehmigt. Der Aufwand dafür jedoch wie bei der Errichtung eines Einfamilienhauses. Wohlgemerkt für eine zwölf Quadratmeter große Gerätehütte! Ich bin überrascht, sie ist nicht versperrt. Kommt hier denn nichts weg? Werkzeuge, Grill und vieles mehr. Eigentlich nicht. Bei den Pflanzen ist das schon anders. Einmal wurden Bäume im Wert von 700 Euro, die gerade schön angegangen waren ausgegraben und waren verschwunden. Sie wachsen nun in anderen Gärten. Mike sieht das entspannt. Es hilft ja nichts sich zu ärgern. Die Natur nimmt sich im Schnitt fünfzehn Prozent der Ernte, durch Schnecken und anderen Schädlingsbefall. Und der Mensch ist ja Teil der Natur.
Alles ist zugänglich und der Durchgang für alle gestattet. Mit einer Ausnahme, hier musste Hausverbot erteilt werden. Manche können mit der Initiative nichts anfangen. Andere gehen hier gern spazieren. Einige sind Mitglieder. Generell wird heute in der Donaustadt bei Baulandschaffung immer ein Ausgleich durch Sicherstellung landwirtschaftlicher Flächen geschaffen oder Landschaftsschutzflächen festgelegt.
Doch das war noch nicht alles. Wir fahren kurz in die Foodcoop Lobau – Butz & Stingl. Sie ähnelt einem Bioladen. Kein Wunder, da eine die mitwirkt früher einen Bioladen geführt hat. Der Aufbau war leicht, weil die Kleine Stadt Farm auf eine bestehende Gemeinschaft gestoßen ist – die Siedlerbewegung – die auch gleich Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Heute hat die Foodcoop an die 80 Mitglieder.
Als Abschluss fahren wir zum Barbenhäufl, direkt unter der Donauuferautobahn und Kaisermühlenstraße. Der Verkehrslärm stört kaum beim Blick auf das Obere Mühlwasser. Ein Kleinod in Privathand, die die Kleine Stadt Farm unterstützt. Hier ist so Einiges geplant: ein Glashaus, ein Erdkeller, vielleicht ein Earthship. Alle Initiativen werden dazu beitragen. Wie die am Campus in der Siemensstraße, wo derzeit mit MigrantInnen gewerkelt wird. Sie schlagen die Brücke vom professionellen Bauen zum Basteln. So dass jeder mitmachen kann. Sie nennen es Bausteln. Es gibt bereits eine Kooperation mit der Wurmkiste – einem Kompost für die Wohnung, der nicht stinkt. Sonst dreht sich alles um green furniture. So greift eins ins andere, abseits der gewohnten Wirtschaftswelt.
Die Kleine Stadt Farm, sowie mit ihr verbundene Initiativen sind meist als Vereine organisiert. Der Vorstand darf nur das gesetztliche Mindestmaß entscheiden – alles weitere erfolgt im Plenum. Die Überlegungen gehen hin zu einer gemeinnützigen GmbH. Die Genossenschaft war bislang uninteressant – mit dem neuen Revisionsverband könnte sich das ändern. Seit Herbst erarbeiten sie ein Wertesystem für sich.
Errata & Nachtrag, April 2017:
Die Aquaponic-Fischfarm gehört nicht zur Kleinen Stadt Farm.
Der Polzerhof ist bei der Familie Puk und derzeit Rechtssache.
Um die Kleine Stadt Farm und den Polzerhof, das Ökozentrum Lobau, werden derzeit Konflikte laut. Viele Initiativen bedeutet viele Perspektiven. Orte entwickeln sich, Alteingessenes und Gewohntes trifft auf Neues. Ein Ort, der von einigen nur besucht oder stundenweise belebt wird, ist für andere tagtägliche Lebens- und Existenzgrundlage. Wertschätzung für Geleistetes und Aufbauhilfe tritt oft in den Hintergrund, wenn Kritik lauter wird. Konflikte gibt es – wie bei allen anderen Vorhaben – auch hier. Wir wünschen allen Initiativen vor Ort, dass sie ihre bunte Ideenvielfalt weiter leben und zu einer großen Gemeinschaft zusammen wachsen können.