Dernière im Gleis 21

Die Erwartungen sind hoch, die Bedürfnisse sehr unterschiedlich, die Konflikte unausweichlich. Am 27. Oktober 2021 war unser (vorerst) letzter Auftritt mit »Caring for Communities«, für Gemeinschaften sorgen – unserem Forumtheater über das Zusammenleben. Dafür waren wir im Wohnprojekt Gleis 21 zu Gast, im Sonnenwendviertel Wiens.

Nach dem Stück ist das Publikum gefragt: Habt ihr Ideen? In welcher konfliktreichen Szene wollt ihr auf die Bühne kommen und etwas ausprobieren, um die Konflikte zu mildern? Zwei Erwachsene und ein Jugendlicher intervenieren. Erfolgreich?

Zuhören statt Schnacken

Wenn so viele unterschiedliche Bedürfnisse da sind, müssen diese zunächst einmal gehört werden. Das ist der erste Vorschlag aus dem Publikum. Eine Zuschauerin kommt auf die Bühne und klinkt sich als eine weitere Bewohnerin in die Szene über die Diskussion ein, wie der Gemeinschaftsraum am Dach künftig genutzt werden soll: „Es geht nicht darum, dass sich eine Person den Gemeinschaftsraum zu eigen macht, auch nicht, dass ihn sich drei Leute unter sich aufteilen. Es geht darum alle Bewohner*innen einzuladen.“

Ihr Resümee: „Ich glaube es wäre in Gang gekommen. Es geht nicht ums Schnacken, sondern ums Zuhören!“

Plötzliche Solidarität

Die Jugendliche im Haus will sich endlich wieder mit ihren Freund*innen treffen und die nächste Aktion für »Fridays For Future« organisieren. Sie hat dafür den Gemeinschaftsraum gebucht, doch die Erwachsenen haben dort andere Pläne. „Selbst wenn wir den Schlüssel bekommen, werden wir voll kontrolliert!“, kommentiert sie frustriert, als sie endlich den Schlüssel bekommt, aber erneut über die Nutzungszeiten und das Aufräumen vom Schlüsselverwalter aufgeklärt wird.

Sie dürfen keinen persönlichen Vorteil daraus ziehen! … Sie haben die Macht! Wir teilen das Verwalten des Schlüssels jetzt rotierend zwischen uns auf und stimmen darüber ab.

interveniert ein Jugendlicher aus dem Publikum

Ein Jugendlicher aus dem Publikum interveniert. Als weiterer Jugendlicher in dieser Szene und konfrontiert er den Erwachsenen mit den entstandenen Machtverhältnissen: „Sie dürfen keinen persönlichen Vorteil aus dem Verwalten der Schlüssel ziehen! In der Hausverordnung steht, dass jedem Bewohner der Schlüssel zum Gemeinschaftsraum zusteht!“, und hat einen Vorschlag: „Sie haben die Macht! Wir teilen das Verwalten des Schlüssels jetzt rotierend zwischen uns auf und stimmen darüber ab.“ Die anderen Bewohner*innen finden die Idee gut und stimmen zu. So lenkt schließlich auch der strenge Bewohner ein, der die Schlüssel verwaltet: „Ich bin ein Gemeinschaftstier und ich hab meine Zweifel, aber probieren wir es!“

Es waren vorher schon Konflikte im Raum, die sich nicht um das Nutzen des Gemeinschaftsraumes drehten, sondern auf der Beziehungsebene abliefen. Der Jugendliche war sehr lösungsorientiert und hat klar und bestimmt einen konkreten Vorschlag eingebracht. Damit hat er sich aus den anderen Konflikten lösen können, dabei die Machtverhältnisse um den Schlüssel aufgedeckt und die Hürden für das Nutzen des Gemeinschaftsraumes offen gelegt.

Was bewegt die Protagonist*innen wirklich?

Nach der Intervention wird die Szene eingefroren und die Protagonist*innen einzeln befragt, wie es ihnen jetzt geht. Die Jugendliche hat durch die Allianz mit dem weiteren Jugenlichen erstmals klargestellt, dass sie und ihre Freund*innen zu Unrecht für die Scherben und den Dreck vom letzten Mal beschuldigt werden: „Es tat gut, das einmal anzusprechen. Und ich war total überrascht, dass der strenge Schlüsselverwalter zur Abgabe des Verwaltens der Schlüssel bereit war.“

Das sich Jugendliche auch einbringen war überraschend für mich! Normalerweise würde ich nicht auf die hören, aber jetzt denke ich, die können sich gern öfters einbringen.

resümiert eine Bewohnerin nach der Intervention

Im Anschluss wurde der Schlüsselverwalter gefragt, wovor er Angst hat: „Kontrollverlust – das hat ohne mich vorher alles nicht so gut funktioniert. Ist ja nicht so, dass mir das Spaß macht. Aber nett, dass die alle zu mir kommen. Komme mir ein bisschen verloren vor bei den ganzen Konflikten, die sich über die letzten zwei Jahre hier aufgebaut haben.“ Eine andere Bewohnerin resümiert: „Das sich Jugendliche auch einbringen war überraschend für mich! Normalerweise würde ich nicht auf die hören, aber jetzt denke ich, die können sich gern öfters einbringen.“

Externe Moderation fürs Plenum

„Ich hatte heute einen entspannten Tag, bis jetzt!“ da braucht keine*r mehr zwischen den Zeilen lesen, die Konflikte im Raum haben sich auch auf die externe Moderatorin übertragen. Sie hat eingeladen, dass als Check-In jede*r einmal mitteilt, wie es ihr oder ihm geht – die Reaktion kommt prompt: „Nichts für ungut! Aber wir haben hier wirklich Probleme. Es brennt!“ macht ein Bewohner seinem Unmut und seiner Ungeduld Luft. Um dann später zu gestehen: „Ich wünsche mir doch nur, dass wir wieder einmal gemeinsam etwas machen!“ Auch hier nach wird der Intervention aus dem Publikum die Szene eingefroren und die Protagonist*innen einzeln befragt: Was willst du? Was willst du für dich? Was wünschst du dir? „Ich will meine Ruhe, mir sind die ganzen Besprechungen zu mühsam.“ – „Bei einem Fest wäre ich auch dabei!“ Die Plena und das Ausdiskutieren ist nichts für alle Bewohner*innen.

„Sich den Raum in den bestehenden Konflikten zu nehmen (und zu moderieren) ist schwierig und daraus gute Harmonie zu schaffen!“, zieht die externe Moderatorin nach ihrer Intervention ihr Resümeé.

Jemand für das soziale Leben

Im Anschluss entsteht im Publikum eine Idee: Es braucht wohl eine Moderation als Konstante im Haus – jemand die oder der für das soziale Leben da ist, nicht nur für Technik und Sicherheit. Und, es braucht regelmäßige Treffen.

Ähnliches wurde auch bei den anderen Aufführungen vorgeschlagen. Es fühlt sich anders an, Konflikte gemeinsam in einem Theaterstück zu durchleben und Lösungen zu finden. Ganz anders als am Besprechungstisch. Mit dieser partizipativen Methode des Forumtheaters ist Teilhabe niederschwellig für viele möglich. Auch wer nicht interveniert nimmt mit, dass jede Situation eine Chance ist anders zu handeln, etwas auszuprobieren und gemeinsam zu lernen – statt in verinnerlichten Mustern zu verharren.

Diese Aufführung fand im Rahmen von Soziale Innovation Wien statt und wurde gefördert vom Fonds Soziales Wien, aus Mitteln der Stadt Wien.

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