Der europäische Kongress zu nachhaltigen Ernährungspraktiken hat Premiere: digital und kostenfrei von 22. bis 24. März 2021. Wir schauen hinter die Kulissen.
„Mit dem Kongress wollen wir einen Ernährungswandel unterstützen und nachhaltige Praktiken aus der Nische in den Mainstream bringen!“ fasst Helen Engelhardt, eine der Organisator*innen, das Anliegen zusammen. Der Kongress richtet sich an Forscher*innen, Praktiker*innen und an nachhaltiger Ernährung interessierte Menschen in Europa – und lädt ein zu gemeinsamem Lernen und Austausch, um ein Netzwerk aufzubauen und bereits praktizierte Lösungen zu verbreiten.
Menschen aus Italien, Rumänien, Griechenland, Polen, Großbritannien, Deutschland und Frankreich berichten über umweltfreundliche und nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft, wie dieses Wissen geschützt und geteilt werden kann, über Agroforstwirtschaft, wie Städte Verantwortung für Nahrungsmittelproduktion übernehmen oder über innovative Finanzierungsmöglichkeiten.
Der Kongress ist digital, kostenfrei und offen für alle: Vorname und E-Mail-Adresse, mehr Daten braucht es nicht für eine Anmeldung. Die Anzahl der Teilnehmer*innen ist unbeschränkt. Die meisten Programmpunkte bestehen aus einem oder mehreren Kurzvorträgen und anschließender Diskussion. Wer keine Zeit hat teilzunehmen, kann die Vorträge nachschauen.
Die Kraft der Krise nutzen
Das Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss, verbreitet sich derzeit gleichermaßen wie der Virus. Wir erleben durch die Corona-Pandemie einschneidende Veränderungen mit Zerstörungsgewalt: Menschen sterben und Wirtschaftszweige brechen weg. Was systemrelevant ist, hat sich verschoben. Oder sollten wir stattdessen fragen: Ist unser System noch relevant?
Menschenrelevant ist der Zugang zu Nahrung, denn ohne Essen kein Leben. Wir – Politik, Behörden und Zivilgesellschaft in Europa – beeinflussen oder haben zumeist die Wahl, was auf unsere Teller kommt. Für den Weg aus der oft umweltzerstörenden industriellen Massenproduktion mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gibt es bereits eine Vielfalt an Lösungen: Zahlreiche Praktiken, wie Lebensmittel produziert und verteilt werden, wie dafür bezahlt wird. Derzeit sind sie Nischeninnovationen – die Krise bietet die Transformationskraft, sie in die breite Anwendung zu bringen.
Wer steckt hinter dem Kongress?
Der unabhängige und gemeinnützige Verein NAHhaft e.V. hat Nischeninnovationen in der Ernährung gesucht, auf der FoodSy Karte gesammelt und in Berichten für das Umweltbundesamt in Deutschland dokumentiert. Dieser Kongress war der nächste logische Schritt, bereits im Sommer 2019 begann die Planung als digitaler Kongress, um niederschwellig und umweltschonend europaweit zu vernetzen. Das deutsche Umweltbundesamt ist Förderer.
NAHhaft e.V. ist auch Initiator und Träger der Plattform Ernährungswandel, die den Teilnehmer*innen nach dem Kongress ein Forum bietet, um sich themenspezifisch weiter austauschen zu können. Und der letzte Programmpunkt des Kongresses widmet sich dem Ausblick: Wird es ein jährlicher Kongress, was kann noch daraus entstehen? Wie so oft, wird das wohl vor allem eine Frage der Finanzierung sein.
NAHhaft e.V. haben engagierte Menschen in Berlin gegründet, die bereits im Zuge ihrer Masterarbeit ihren Impulsen nachgingen: Zum einen wollten sie sich für mehr regionale Lebensmittel in der Gemeinschaftsverpflegung einsetzen, zum anderen regionale Ernährungspolitik für nachhaltige Ernährungssysteme fördern. Seit 2016 setzt der Verein hierfür den Fokus auf Forschen, Bilden und Beraten.
Heute hat NAHhaft e.V. Büros in Berlin, Dresden und Kassel mit bezahlten Mitarbeiter*innen, unterstützt von Menschen, die ehrenamtlich mitwirken. Laut dem aktuellsten Jahresbericht auf der Webseite hatte der Verein 2018 rund 270.000 Euro Einnahmen und rund 200.000 Euro Ausgaben. Im selben Jahr erhielt NAHhaft e.V. das Siegel „Innovativ durch Forschung 2018/2019“ des Stifterverbandes, einer der größten privaten Wissenschaftsförderer in Deutschland.
Was macht NAHhaft e.V. sonst?
NAHhaft e.V. entwickelt Ernährungsstrategien, derzeit für das Land Berlin und für einen Stadtteil in Dresden – dort ist die Ernährung ein Teil der Klimastrategie. Mit den Kooperationspartnern Eaternity und greentable hat NAHhaft e.V. die KlimaTeller App entwickelt, die unterstützen soll, die Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen, als auch Gastronomie nachhaltiger zu machen. Kurzum, ein CO2-Rechner fürs Essen, basierend auf einer umfangreichen Datenbank.
Im Gestalten des Angebotes und in der Auswahl daraus liegt großes Potenzial für Transformation: 2018 wurden in Deutschland 80,6 Milliarden Euro für den Außer-Haus-Verzehr, die Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie, ausgegeben. Das sind über 80 Euro im Monat, die die Menschen im Durchschnitt für Ernährung außer Haus ausgegeben haben. In Österreich waren es im selben Jahr über 110 Euro.
Diesen Beitrag habe ich im Jänner für Energie Transition 2050 – Klima- und Energiefonds geschrieben.