Kinder und Eltern radeln gemeinsam für mehr Sicherheit im Straßenverkehr: Es mangelt an baulich getrennten breiten Radwegen und sicher gestalteten Kreuzungen. Was 2021 in Barcelona begann, fand am 22. September auf einer 3. Bicibus-Route in Wien statt. Während in Wien, Innsbruck und Wels der Bicibus manchmal rollt, fährt der Bicibus Eixample in Barcelona ab Mitte Oktober jeden Schultag.
8:45 Freitag morgens in Barcelona: Vor der Escola Joan Miro, einer Schule in Eixample, radeln um die hundert Menschen auf der Straße: eine 5-Jährige auf ihrem Roller, ein 11-Jähriger Junge, wie auch eine Mutter die vom Fahrrad winkt. Es ertönt ein Klingelkonzert, noch mehr Kinder und Eltern rollen auf ihren Fahrrädern vorbei, bis schließlich das Polizeiauto das Schlusslicht bildet. Jetzt übernehmen wieder die Menschen auf Mopeds, in Autos und Lkws – sie beenden die Ruhe durch Hektik mit Lärm und Gestank.
Barcelona, Hamburg – Wien?
2021 erfinden Eltern in Barcelona den Bicibus: Sie fahren gemeinsam mit ihren Kindern im Radkonvoi in die Schule, begleitet von der Polizei. Bicibus, also Fahrradbus deshalb, weil viele Menschen am Fahrrad im Verband radeln. Und das, auf einer festgelegten Route mit fixen Zeiten, sodass weitere Kinder und Eltern am Weg dazu stoßen können. Der Radkonvoi folgt einem Fahrplan, daher der Name Bicibus.
Denn der Straßenverkehr ist gerade für Volksschulkinder unsicher: Die Kinder tun sich noch schwer in einer Spur am Radweg zu fahren; viele Radwege sind schmal und bieten keinen Platz fürs Überholen durch schnellere Radfahrer:innen – vielerorts fehlen sie ganz. Generell ist der Platz ungerecht verteilt.
In Barcelona fährt der Bicibus jeden Schulfreitag. In vielen spanischen Städten gibt es mittlerweile Bicibusse, das hat auch Kinder und Eltern in anderen Städten Europas inspiriert: So startete der Bicibus in Hamburg nach den Sommerferien wieder wöchentlich. In Wien war am 22. September die Pilot-Ausfahrt auf der dritten Bicibus-Route, dieses Mal in Hietzing. Von Favoriten nach Wieden war die erste, in Döbling die Zweite, die bereits zweimal stattfand.
Radelt Ihr Kind in die Schule?
Nein? Dann teilen Sie womöglich die Ängste von vielen Eltern. Doch Regelwissen ist erst so richtig verankert, wenn es praktisch angewendet wird, und Radfahrkompetenz braucht Übung – und üben geht am besten im Straßenverkehr. Sicheres Üben, dass schafft der Bicibus.
Der Bicibus ist die wöchentliche Einladung gemeinsam Rad zu fahren. Die Polizei begleitet und der Bicibus rollt auf der gesamten Fahrbahn, an Kreuzungen wird bei rot angehalten und bei grün geht es weiter – bis der ganze Radkonvoi die Kreuzung überquert hat. Diese freitäglichen Radfahrten in die Schule fordern nicht nur mehr Platz für kindgerechten Straßenverkehr, sondern steigern auch die Konzentration der Kinder – wie auch der Eltern.
Bewegen belebt und steigert Lernerfolg
Mit einer halben Stunde Bewegung in der Früh können sich Kinder weitaus besser konzentrieren: Frisch und munter in der Schule ankommen wirkt sich auf positiv aufs Lernen aus:
Umso wichtiger ist es, Kinder frühzeitig motorisch zu fördern, weil sich damit auch die Entwicklung der geistigen Fitness positiv beeinflussen lässt.
Das sagt Professorin Renate Oberhoffer-Fritz als Erkenntnis aus einer Studie an der Technischen Universität in München dem Informationsdienst Wissenschaft.
Es ist wirklich interessant, dass die Bewegung, die man durch ‚sich selbst zur Schule bewegen’ bekommt, sich auf die Konzentrationsfähigkeit für etwa vier Stunden des Schultages auswirkt.
Dies erklärt Professor Niels Egelund von der Universität Aarhus in Science Nordic zu seiner Studie mit 20.000 Kindern – ‚The Mass Experiment 2012‘.
Ähnlich dürften die Eltern von gesteigerter Konzentration bei der Arbeit profitieren. Zudem ist das Mitradeln auf dieser Fahrrad-Demo eine Erfahrung in demokratischer Teilhabe. Und das gute Gefühl, dass ich auch als Kind schon etwas zu (kind-)gerechterem Straßenverkehr beitragen kann.
Am Schulweg aufmerksam machen
Leise oder mit summenden Fahrradklingeln fahren die Menschen als Bicibus durch Barcelonas Stadtviertel Eixample. Das erzeugt Aufsehen. Die Menschen in den Straßencafés schauen hinter der Zeitung hervor oder heben ihren Blick vom Handy.
Wieso begleitet die Polizei Kinder und ihre Eltern in die Schule? Eine Frau steht auf und macht Fotos, ein Mann lehnt an der Wand und lächelt. Andere hingegen trommeln auf dem Lenkrad, sie warten darauf das der Bicibus endlich vorbeigefahren ist. Es gab auch Widerstand und teils Hass gegen die radfahrenden Kinder und ihre Eltern.
Die Stadtverwaltung ist sehr unterstützend: Der Bicibus in Eixample wird heute nur mehr mit einem Polizeiauto als Schlusslicht begleitet. Zeitweise begleitete die Polizei auch auf Motorrädern und auch wenige Male auf Fahrrädern – letzteres wäre den Bicibus-Familien am liebsten.
Bald Montag bis Freitag
Am 16. September 2021 fand der erste Bicibus im Stadtviertel Eixample statt – seither jeden Schulfreitag. Gut ein Jahr später, ab Mitte Oktober, wird der Bicibus hier jeden Schultag rollen. Es ist der natürliche Lauf der Dinge für sie, denn viele Familien treffen sich ohnehin jeden Morgen am Fahrrad und radeln in Gruppen zur Schule.
Der Bicibus fährt in Eixample sechs Schulen an. Die Schulen gaben tolles Feedback: Manche machten mit den Kindern Poster zum Bicibus, andere bauten die Vorteile des Radfahrens mit in den Unterricht ein.
Der Aufruf einer Schule war damals der Anstoß für die Gespräche unter den Eltern und den Start des Bicibus: Alles weitere folgte sehr organisch durch Mundpropaganda und Sichtbarkeit im Straßenverkehr. Die Bicibus-Familien in Eixample organisieren sich über einen Telegram-Kanal, zudem haben sie auch einen Twitter-Account.
Bicibus und Kidical Mass
Sie waren nicht die ersten, sondern sind der dritte Bicibus in Barcelona, aber sie sind die lautesten und größten. Sie vernetzen sich auch über Barcelona hinaus. So kam beispielsweise eine Gruppe aus Köln auf Bicibus Eixample zu – durch diesen Austausch kam die Kidical Mass nach Barcelona. Beide, Bicibus und Kidical Mass beanspruchen Stadtraum zurück: fürs Radfahren, für die Menschen – fürs Leben!
Kontakt haben die Familien von Bicibus Eixample derzeit zu Menschen in der Türkei, in den Vereinigten Staaten in Californien und Brooklyn. Letztere wollen den Bicibus in ärmeren Gegenden einsetzen und dort Stadtraum für mehr Lebensqualität zurück erobern. Gefragt nach einem Zitat für die Initiativen in Österreich, schließt Mireia Boix von Bicibus Eixample am Telefon mit folgenden Worten:
Die Freude der Kinder, die mit dem Fahrrad fahren und die Stadt für sich beanspruchen, ist einfach ansteckend, lohnt sich und ist alles wert!
INFOBOX
Der erste Bicibus in Wien fuhr am 10. Juni 2022 vom Sonnenwendviertel nach Wieden in die Waltergasse, organisiert von Kindern mit ihren Eltern. Der zweite Bicibus fuhr durch Döbling und wurde von der Bürgerinitiative »Radeln in Döbling« organisiert. Und am 22. September radelte der dritte Bicibus durch Hietzing, initiiert von der Radlobby Hietzing.
Wer in Wien mit dem Bicibus mitradeln will schreibt für den Bicibus in Döbling an doebling@radeln.wien, in Hietzing an wien13@radlobby.at oder allgemein an wien@radlobby.at.
Die Informationen zu Bicibussen in Wien bündelt die Radlobby auf ihrer Webseite zu Bicibus. Wo und wann die nächste Kidical Mass fährt, steht auf Kidical Mass Österreich.
In Deutschland sollen künftig alle Informationen zu Bicibussen auf der eigens geschaffenen Webseite Bicibus.de gebündelt werden.
Wer Bicibus Eixample in Barcelona folgen will, kann dies auf Twitter tun, @bicibuseixample.
Dieser Beitrag erschien gekürzt Ende September 2022 im Online Standard als Community Artikel.
Weitere Informationen
- 2023, Okt. – Guardian: he bicibús: how Barcelona got kids cycling safely to school – and loving it! (nachträglich ergänzt)
- 2022, Okt. – „Das hat Spaß gemacht!“: Der BiciBus erreicht Graz (nachträglich ergänzt)
- 2022, Aug. – VCD Nord: Freitags mit dem BICIBUS in Hamburg in die Zukunft
- 2021, Dez. – Deutsche Welle: Gemeinsam mit dem Rad zur Schule: der Bicibus in Barcelona
- 2021, Nov. – Süddeutsche: Bicibus in Barcelona – eine reale Utopie