Diese Lernreise ist Teil des Projektes »Pilot Mitmach Supermarkt«.
Vor vier Jahren, im September 2017, hat »BEES Coop supermarket« auf einer Fläche von 1.500 Quadratmetern in Brüssel eröffnet – heute hat die Genossenschaft 1.500 aktive Mitglieder, verkauft über 4.000 Produkte und macht vier Millionen Euro Umsatz im Jahr.
Bislang brauchte die BEES Coop keine Mitglieder werben: Sie war der zweite genossenschaftliche Supermarkt in Europa und der erste in Brüssel – das sprach sich schnell herum und die Mitglieder kamen von selbst, erzählt mir Martin Raucent, Mitgründer der BEES Coop, als er sich Zeit nimmt und mich im November 2021 durch den kooperativen Supermarkt führt. Ich nutzte meine Rückreise von Paris und Lille über Brüssel zu Bekannten für den Besuch hier.
Nordöstlich der Innenstadt
Die Kooperative ist in Schaerbeek, dass im Nordosten an die Brüsseler Innenstadt angrenzt. Schaerbeek ist eine der 19 Gemeinden der Region Brüssel-Hauptstadt: Knapp 37 Prozent der Bewohner:innen kommen aus dem Ausland, fast Dreiviertel der Bewohner:innen von Schaerbeek haben einen Migrationshintergrund. Rund 16.300 Menschen leben in dieser Gemeinde auf einem Quadratkilometer – zum Vergleich: Im Wiener Gemeindebezirk Ottakring sind es 11.800.
Mäzenin unterstützte den Ankauf
BEES Coop hat ihren Supermarkt gekauft. Sie hatten Glück. Sie hatten eine Mäzenin. Die Mäzenin hat das Grundstück mit Gebäude für die BEES Coop gekauft, weil sie das Projekt unterstützen wollte: Die rund 360.000 Euro waren für sie eine soziale Investition, für die sie keine Zinsen haben wollte.
Für den Aufbau holte sich die BEES Coop Geld von der Bank. Diese verlangte Sicherheiten, deshalb kaufte die BEES Coop vor fünf Jahren das Grundstück mit Gebäude von der Mäzenin, um den Kredit abzusichern. Zwischenzeitlich hat die BEES Coop das Gebäude teils wieder auf- und umgebaut und isoliert. Das Dach wird gerade erneuert – jetzt kommt von oben Tageslicht ins Geschäft.
Mitglieder und Angestellte
„Das Wichtigste ist, dass ihr eure Gemeinschaft aufbaut und die Leute dazu bringt in ihrer Genossenschaft einzukaufen.“
ist Martins Tipp an uns.
In der BEES Coop gibt es acht Angestellte, sie arbeiten circa 80 Prozent, also sind das sechs bis sieben Vollzeitäquivalente. „Wir sind gut und korrekt bezahlt!“ erzählt mir Martin, und führt weiter aus, dass alle gleich verdienen: Circa 2.000 Euro netto im Monat, das heißt es fallen in etwa 50.000 Euro Kosten für jede:n Angestellte:n im Jahr in der BEES Coop an. Martin schätzt, dass es für einen Supermarkt mindestens sechs Angestellte braucht.
Einheitlicher Rohaufschlag und Rabatte
Zwanzig Prozent ist der einheitliche Rohaufschlag in der BEES Coop. Einzig auf Obst und Gemüse, lose Ware und Fleisch wird 5 Prozent mehr aufgeschlagen.
Denn die richtigen Mengen Fleisch und Brot anzubieten ist noch herausfordernd, hier gibt es oft Rabatte: 50 Prozent Rabatt gibt es auf Früchte und Gemüse und 15 Prozent Rabatt auf ablaufende Ware – auch auf Brot. Wann welche Produkte Rabatte erhalten entscheiden die Angestellten. Die rabattierten Produkte, die nicht gekühlt werden müssen stehen an der Kassa.
Die BEES Coop ist teurer als ein Aldi oder Lidl Discounter, es es unmöglich sich mit diesen zu vergleichen, weil die BEES Coop ganz andere Produkte anbietet.
Eigentlich nur Bio bei Obst und Gemüse
Die BEES Coop hat grundsätzlich nur Bio-Obst und Bio-Gemüse im Sortiment. Mit Ausnahmen, beispielsweise verkauften sie vor zwei Jahren nicht biologische Kartoffeln von einem lokalen Zulieferer, weil diese sehr günstig waren: Die soziale Zugänglichkeit ist der BEES Coop sehr wichtig. Für die einkaufenden Mitglieder wird dann klar gekennzeichnet was biologisch und konventionell ist – und die Leute wählen selbst aus.
Kriterien für ihr Sortiment
Die BEES Coop verkauft kein Kellogs, keine Coca Cola und auch kein Nutella – denn das sind für sie Symbole des Kapitalismus und zudem sind sie meist gar nicht so billig. Sie haben Kriterien für ihr Produktsortiment festgelegt: Es werden niemals Produkte der riesigen Konzerne, die Produzent:innen und Umwelt ausbeuten, im Regal stehen – da es immer eine Alternative gibt, die preislich und geschmacklich ähnlich ist.
Wichtig ist ihnen vor allem biologische Produkte zu einem bezahlbaren Preis anzubieten. Natürlich gibt es daneben konventionelle Produkte, damit die Mitglieder alles was sie brauchen in einem Geschäft erhalten können. Die Mitglieder können Produkte vorschlagen, wenn sie die festgelegten Kriterien erfüllen, kommen sie ins Regal.
Warenflüsse und Buchhaltung
An die hundert Rechnungen sind pro Woche zu bearbeiten und in die Odoo Software einzugeben. Sechs oder sieben Frauen tun dies jeden Montag – es sind Mitglieder, die um einiges mehr als die knapp drei Stunden im Monat mitarbeiten. Es gibt spezielle Schichten für die Buchhaltung sowie für das Koordinieren der Mitglieder und der Mitarbeitsschichten.
Zu Beginn hat die BEES Coop selbst ihre Software für Lager- und Buchhaltung, wie auch Mitgliederschichten programmiert – wie auch die »Coopérative La Louve« in Paris. Sie haben dafür die Software von Odoo gewählt – nicht zuletzt weil es eine Open Source Lösung ist.
Später haben Mitglieder der BEES Coop die Genossenschaft Coop IT easy gegründet und unterstützen neben der BEES Coop nun über zehn verschiedene Genossenschaften dabei die Odoo-Software auf- und einzusetzen: in Belgien und Europa. Wenn etwas weiterentwickelt werden soll, wird in Europa gefragt, zum Beispiel Coops in Belgien oder auch in der Schweiz: Wer braucht das noch? Und so können sie die Entwicklungskosten mit anderen Genossenschaften teilen.
100 Lieferant:innen liefern 4.000 Produkte
Für die Eier gibt es eine:n, für Fleisch ebenso, für Brot gibt es drei Lieferant:innen, für Obst und Gemüse zusammen fünf bis sechs. In Summe hat die BEES Coop über kleine und große 100 Lieferant:innen. Durchschnittlich haben sie zwölf bis fünfzehn Anlieferungen pro Tag.
Heute haben die Mitglieder der BEES Coop etwas mehr als 4.000 Produkte zur Auswahl. Im kleinen Geschäft zu Beginn gab es circa 500, im Supermarkt am Anfang 2.500 Produkte.
Anliefern und Lagern
Kühlräume gibt es je einen für Fleisch, für Käse, sowie für Obst und Gemüse. Bei der BEES Coop wird jeden Tag Obst und Gemüse angeliefert. Es kommt von unterschiedlichen Lieferant:innen. Die kleineren liefern zweimal in der Woche, die größeren bis zu vier oder fünfmal die Woche. Für Martin ist es gut drei oder vier Kühlräume in einem Supermarkt zu haben.
Die Anlieferung erfolgt teils in der Nacht. Die Lieferant:innen haben dafür Zugang zu Lager und Kühlräumen über einen Code – somit muss niemand von der BEES Coop zur Annahme vor Ort sein.
Wenn eine Lieferung kommt erfolgt der Prozess in zwei Stufen: Zuerst wird geprüft, ob alles geliefert wurde. Dabei werden die Kürzel der Lieferant:innen und wann die Ware geliefert wurde auf den Kartons vermerkt. Dann wird es direkt in die Regale im Geschäft einsortiert oder ins Lager. Das Lager für die nicht zu kühlenden Waren ist am anderen Ende des Supermarktes – die Ware muss somit ohnehin durch das Geschäft transportiert werden. Die frischeste Ware wird immer nach hinten oder unten einsortiert.
Ausbau und Gemeinschaftsaktivitäten
Vor sechs Jahren wurde zum Ausprobieren ein kleiner Laden eröffnet – auf dessen Fläche sind heute die Anlieferung und die Kühlräume. Die Supermarktverkaufsfläche wird derzeit im ersten Stock erweitert: Dort soll es mehr Kühlregale geben.
Im ersten Stock gibt es auch eine Gastroküche: Für die Gemeinschaft, für die Nachbarschaft, um beispielsweise Kochkurse für gutes Essen anzubieten. Und vielleicht auch um die nicht verkaufte Ware selbst zu verwerten. Für die vorhandene Gastroküche im ersten Stock gibt es viele Pläne, aber noch keine Zeit diese umzusetzen – in den letzten Jahren waren sie einfach damit beschäftigt den Supermarkt ins Laufen zu bringen.
Die Kühlschränke der Gastroküche dienen derzeit für Käse – er wird hier gesondert gelagert. Es gibt eine spezielle Mitarbeitsschicht in der Gastroküche zum Portionieren des Käses – fast jeden Tag wird hier Käse geschnitten und abgepackt.
Resümeé
Die BEES Coop ist auf demselben Konzept wie »Coopérative La Louve« in Paris aufgebaut – beide haben Park Slope Food Coop in New York City als Vorbild: Die aktiven Mitglieder arbeiten alle mit und es gibt einen Kern von wenigen Angestellten. Sie setzen Odoo als ERP-System ein, als Enterprise Resource Planning Software für den Warenfluss und die Buchhaltung.
Die Atmosphäre ist sehr angenehm und die einkaufenden und mitarbeitenden Mitglieder sehr kommunikationsfreudig.
Im Detail gibt es jedoch eine gewisse Varianz im Umsetzen des Konzeptes, die sich teils einfach im Tun ergeben hat und nicht immer eine bewusste Entscheidung war:
Die augenscheinlichsten Unterschiede zu La Louve sind:
- Festgelegte Kriterien für das Produktsortiment vs. keine bei La Louve, wo alle mit ihrem Einkauf entscheiden, welche Produkte im Regal bleiben
- Sie arbeiten mit einer Vielzahl von Lieferant:innen zusammen, während La Louve vor allem von Großhändler:innen und wenigen ausgewählten Lieferant:innen einkauft – nicht zuletzt um Lkw-Anfahrten zu bündeln
- Es gibt ein Rabattsystem auf die Ware die bald abläuft vs. Hinweise „Ich lauf in drei Tagen ab“ ohne den Preis zu ändern, wie es La Louve handhabt
- Es gibt eine Gastroküche, für die künftig gemeinschaftliche Veranstaltungen angedacht sind
Dieser Beitrag ist Mitte Feber 2022 in den Neuigkeiten von MILA Mitmach Supermarkt erschienen.