Wenn sie »Zur Alten Kaisermühle« an der Alten Donau ausgingen zum Essen, radelte ihr Mann hin und sie fuhr mit ihrem Sohn im Auto nach – das wollte sie ändern. Sie will gemeinsame Radausfahrten mit ihrer Familie machen.
Elena will Radfahren lernen
Das musste sie ihrem Mann nur einmal sagen: Er schaute sofort Youtube Videos an, wie man Radfahren lernt. Und los ging es auf einem Wiener Citybike. Sie lernte zuerst mit dem Rad nur zu rollen – wie am Laufrad. Dann waren sie im Prater zum Radfahren üben. Im Sommer übten sie auch bei seinen Eltern am Balaton, weil es da viele Straßen mit wenig Autoverkehr gibt.
Ich war immer super gestresst – ich hatte einfach keine schöne Zeit, und fragte mich: Warum fährt man überhaupt Rad?,
erinnert sich Elena.
Ihr Resümeé aus den Versuchen mit ihrem Mann Radfahren zu lernen: Es ist das Eine etwas zu können, aber etwas ganz Anderes es jemand anderem beizubringen. Zudem ist das Naheverhältnis in einer Partnerschaft dabei herausfordernd: Es entsteht oft Druck, wenn auch ungewollt.
Frauen fällt es oft leichter sich einzugestehen, wenn sie etwas nicht können und professionelle Unterstützung brauchen. Daher meldete sich Elena für einen Radfahrkurs bei uns an und teilte uns mit, dass sie sicher unzählige Stunden brauchen werde.
Heute ist ihr zweiter Radfahrkurs
Elena kommt diesmal mit dem Rad zum Treffpunkt gefahren. Wir beginnen in der Nähe der Friedensbrücke – abseits des Autoverkehrs und wiederholen das Gelernte: Handzeichen fürs Links abbiegen und Schulterblick. Klappt. Sie bestimmt die Route. Das erste Ziel ist der Platz bei der Spittelau, dann fahren wir weiter zum Donauufer. Dabei fahren wir ein Stück im Autoverkehr mit: Danach fühlt sich der Radweg, auch wenn er manchmal sehr schmal wird, entspannter an.
Die Radspindel am Handelskai, die hoch zur Brücke über die Bahntrassen führt ist für sie herausfordernd, hier ist sie schon einmal gestürzt. Heute klappt alles.
Später, nach den eineinhalb Stunden Radfahrkurs, erinnert sie sich stolz vor allem daran, dass sie weite Teile der Strecke selbst vorgefahren ist und an das Stück mitten im Autoverkehr. Wir haben ihr jedes Mal die Wahl gelassen, aber immer ermutigt auszuprobieren, um zu erfahren wie es sich anfühlt.
Ihr Sohn ist ihr Vorbild
Er hat keine Angst blöd auszusehen, das hab ich von ihm gelernt!,
erzählt Elena lachend.
Sie hat ihren Sohn beobachtet wie der Laufen lernte: Er probierte, fiel hin und machte dennoch immer weiter – bis er es konnte. Er hat so viele Fehler gemacht und trotzdem nie aufgegeben. Heute ist er eineinhalb Jahre alt.
Das Laufrad steht schon bereit. Vor ein paar Tagen hat er seinen Helm entdeckt, aufgesetzt und wollte ihn gar nicht mehr herunternehmen.
Ihr Mann radelt gern
Elena und ihr Mann haben sich im Internet kennengelernt, als beide schon in Wien lebten. Er ist leidenschaftlicher Radfahrer, dass hat er von Anfang an klargestellt: Mehrmals die Woche radelt er in die Arbeit – über 30 Kilometer hin und retour. Am Wochenende fährt er auch mal nach Krems, über 80 Kilometer, und dann mit dem Zug zurück.
We have finished! It was amazing!,
sagt Elena ihrem Mann Bescheid.
Sie nimmt sich noch kurz Zeit für ein Gespräch: Wir setzen uns vor das Caffè a Casa im Servitenviertel und sie erzählt uns ihre Geschichte.
Ihr Mann ist Mathematiker und kommt aus Ungarn. Er hat aber bereits länger in England und Amerika gelebt, als irgendwo sonst. Ihr Mann hat schon als Kind Radfahren gelernt. Sie hat damit begonnen als sie 39 Jahre alt war – jetzt ist sie 42.
Ihre Kindheit war ohne Sport
Elena wuchs in Aserbaidschan auf. Im Krieg. Sie konnten kaum das Haus verlassen, sich bewegen oder Sport machen. So hat sie auch nicht Radfahren gelernt. Sie hatten nichts mehr. Schon gar kein Geld für ein Fahrrad.
Einige Zeit lebte Elena in Vietnam und später in Russland. Doch dort hat sie sich nie richtig wohl gefühlt. 2008 zog sie um, nach Wien und arbeitete nun am Hauptsitz der österreichischen Firma, für die sie vorher in Moskau tätig war. Dann studierte sie. Heute ist Elena selbständig und arbeitet von zu Haus – sie ist Beraterin und gibt Trainings für Geschäftsführer:innen. Sie hatte sich vor der Pandemie und Schwangerschaft selbständig gemacht. Es läuft gut, auch jetzt mit Kind.
Während des Radfahrkurses – wir sind mit den Signalwesten leicht zu erkennen – überholen die Männer am Rad. So manche Frau bleibt eine Weile hinter uns. Selbst wenn wir sie vorbei lassen wollen, winken sie ab: Sie haben Zeit und sind entspannt. Es schwingt ein bisschen Wohlwollen und Solidarität mit.
Elenas neues Gefühl fürs Radfahren
Ich bin euch super dankbar! Ich fühle mich anders, jetzt. Ich bin konzentriert, aber nicht gestresst – und ich fühle auch ein bisschen Freude.
beschreibt Elena wie sich ihr Gefühl fürs Radfahren geändert hat.
Sie empfiehlt allen, die Radfahren wollen, ein, zwei Stunden Privatkurs zu buchen. Dann Rad zu fahren. Und, wenn wieder ein paar Fragen auftauchen, sich wieder einen Radfahrkurs zu buchen.
It is a very good investment – in yourself and in your safety!
Das gibt sie uns noch für diesen Beitrag mit auf den Weg, wir reden jetzt auf Englisch, weil ihr Mann mit ihrem Sohn dazugekommen sind.
Für Elena haben zwei private Radfahrkurse mit einer Woche Abstand den Unterschied gemacht: Vorher fühlte sie sich wie im Tunnel. Mit Erlernen des Schulterblicks hat sie für sich die Kontrolle erlangt, weil sie jetzt immer weiß was rings um sie herum passiert.
Sie will uns berichten wie es ihr über den Sommer mit den Radausfahrten geht. Und wir, wir bedanken uns vielmals fürs Teilen ihrer Geschichte – als Inspiration für andere!
Dieser Beitrag ist Ende Mai im Blog von Schulterblick – Die Radfahrschule erschienen.