Wir bauen jetzt das Kassa- und Warenfluss-System auf, um es im MILA Minimarkt zu testen. Dafür hat die Arbeitsgruppe IT/Digitales verschiedene Softwares geprüft und potenzielle Partner:innen interviewt. Dieser Prototyp ist Teil des »Pilot Mitmach Supermarktes«, gefördert von der Wirtschaftsagentur Wien, einem Fonds der Stadt Wien.
Unser Testlabor, der MILA Mitmach Minimarkt in der Haberlgasse in Ottakring, ist der ideale Rahmen für unseren Prototyp: Für den Minimarkt brauchen wir dort eine Kassa mit einem Warenwirtschaftssystem im Hintergrund. Denn hier können bald die Mitglieder Lebensmittel kaufen, besondere Angebote vorbestellen und mit Karte oder in bar zahlen.
Im Moment testet ein Mitglied der AG IT/Digitales in Kärnten den Bildschirm, den Touchscreen, und unsere Partnerin in Magdeburg das Kartenlesegerät – der Aufbau für den Prototypen läuft: Anfang April soll bereits in Wien in der Haberlgasse getestet werden.
Aber beginnen wir vielleicht erst einmal beim Überblick über die be- und entstehende IT-Infrastruktur von MILA:
Zur bereits aufgebauten digitalen Infrastruktur – der MILA Webseite, Wolke und Forum – kommt das ERP-System, das Enterprise-Resource-Planning-System noch hinzu: Die Software, um die Unternehmensmittel, wie Waren, Personal und Kapital zu steuern. Das ERP-System mit österreich-spezifischem Registrierkassa-Modul werden jetzt als Prototyp aufgesetzt. Und, dazu die Hardware, die Geräte für die Kassa: Ein Bondrucker, ein Kartenlesegerät und ein Barcode-Scanner sind essentiell, die Waage folgt später. Denn wie auch im künftigen MILA Mitmach Supermarkt sitzen die Mitglieder in ihren Mitmachschichten selbst an der Kassa: Alle drei Stunden ein anderes Mitglied, das dann erst in vier Wochen wieder kommt – das ist eine der Besonderheiten.
Enterprise-Resource-Planning (ERP) bezeichnet die unternehmerische Aufgabe, Personal und Ressourcen wie Kapital, Betriebsmittel, Material und Informations- und Kommunikationstechnik im Sinne des Unternehmenszwecks rechtzeitig und bedarfsgerecht zu planen, zu steuern und zu verwalten. Gewährleistet werden sollen ein effizienter betrieblicher Wertschöpfungsprozess und eine stetig optimierte Steuerung der unternehmerischen und betrieblichen Abläufe.
Quelle: Wikipedia
Server in Wien und Skandinavien
Die bestehende IT-Infrastruktur von MILA wird derzeit auf dem Server des Kollektivs convive* im Keller des Volkskundemuseums in Wien gehostet. Das ERP-System des Prototypen bei Hetzner, einer deutschen Hosting-Firma, die Serverfarmen in Skandinavien betreibt – denn im hohen Norden muss weniger gekühlt werden und gibt es ausreichend Strom aus Wasserkraft für den Betrieb. Und, ein wichtiger Grund für uns: Es gelten die europäischen Datenschutzgesetze!
Zuerst die Software, dann die Hardware
Zuerst wurde die Software ausgewählt, und diese war dann die Grundlage für die Hardware-Auswahl: Speziell das Kartenlesegerät war sehr herausfordernd. Keines am Markt war von Haus aus kompatibel: Entschieden hat sich die AG für eine moderne Variante mit Android-Kartenlesegerät. Die Kassa ist ein Mini-Computer, Modell Rasberry Pi. Dieser einfache Einplatinen-Computer wurde von der britischen Stiftung Rasberry Pi bereits 2012 entwickelt, um jungen Menschen das Software und Hardware-Kenntnisse zu erleichtern. Der Gerätetreiber, sodass das ERP-System über das Rasberry Pi auf das Kartenlesegerät zugreifen kann, muss erst noch entwickelt werden.
Odoo Community Edition ausgewählt
Seit wir Odoo ausgewählt haben fahren immer mehr Straßenbahnen in Wien mit Odoo-Werbung – oder sie fallen uns jetzt mehr auf 😉
Die Gründe warum wir Odoo Community Edition ausgewählt haben:
- Es ist offen – Open Source, also ein einsehbarer Quellcode – das heißt wir sehen und wissen was passiert
- Wir können mitentwickeln, denn wir haben intern das Know How bestimmte Module und Schnittstellen-Funktionen selbst zu programmieren oder diese von SuperCoop Berlin zu nutzen
- Es ist einfach die Arbeit künftig an andere Menschen zu übergeben, andere genossenschaftliche Supermärkte einzubinden, es gemeinsam zu nutzen
- Viele bestehende genossenschaftliche Supermärkte in Europa arbeiten mit Odoo, wie zum Beispiel: Coopérative La Louve in Paris, SuperQuinquin in Lille, BEES Coop in Brüssel und SuperCoop in Berlin
- Odoo basiert auf der Programmiersprache Python, die mittlerweile eine der populärsten Programmiersprachen der Welt ist: Pythons Philosophie überzeugt: Es ist Open Source und hat eine aktive Community und ist sehr anwender:innenfreundlich
Die Enterprise Edition hingegen ist nicht einsehbar und bietet auch nicht die Möglichkeit selbst zu entwickeln – diese war auszuschließen weil sie nicht unserer Vorgabe eine Open Source-Lösung aufzusetzen entspricht.
Odoo, das Kürzel steht für On Demand Open Object, und entstand beim Öffnen von OpenERP und Ausweiten des Angebots, während gleichzeitig das Open Source Geschäftsmodell und das Engagement für offene Software und Gemeinschaft beibehalten wurde – so erklärt sich Odoo selbst:
Odoo is a suite of business apps, not only an ERP. 200.000 users are using one application only. … We removed the words „Open“ and „ERP“ from our name. But Odoo is and always will be fully open source. Our open source business model is unchanged. Our commitment to an open software and community remains.
Quelle: Odoo
Wer stand zur Auswahl?
Odoo wurde 2004 in Belgien gestartet und hat sich mittlerweile als eine der größeren Anbieterinnen etabliert. Odoo bietet ein duales Lizenzmodell: die Community Edition ist Open Source, es werden dafür Module von der Odoo Community Association – mit unterschiedlicher Qualität -entwickelt. Die Enterprise Edition bezeichnet sich selbst als Open Core und ergänzt den Umfang um verschiedene kommerzielle und Dienstleistungsfunktionen, darunter die Garantie für Updates.
Neben Odoo gab es im Grunde nur eine etablierte weitere Open Source Software: ERPNext.
ERPNext ist ein Anbieter aus Indien, der auf einen Kundenstamm von 3000+ Unternehmen blicken kann. Auch in Österreich wird es eingesetzt, allerdings selten als Komplettlösung, sondern als Ergänzung von bestehenden Systemen durch einzelne Funktionsgebiete. Wir haben für diese Lösung jedoch keine geeigneten Partner:innen in oder in der Nähe von Österreich gefunden.
Als Open Source (aus englisch open source, wörtlich offene Quelle) wird Software bezeichnet, deren Quelltext öffentlich und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden kann. Open-Source-Software kann meistens kostenlos genutzt werden. Software kann sowohl von Einzelpersonen aus altruistischen Motiven zu Open-Source-Software gemacht werden wie auch von Organisationen oder Unternehmen, um Entwicklungskosten zu teilen oder Marktanteile zu gewinnen.
Quelle: Wikipedia
Was ist noch so am Markt?
Im Vergleich zu den Finalistinnen Odoo und ERPNext sind die Alternativlösungen lizenziert – proprietär, also mit Closed Source, alles bleibt bei der Eigentümerin – und sie sind mit sehr hohen wiederkehrenden Kosten verbunden, wie zum Beispiel: Microsoft Dynamics, Oracle Netsuite oder SAP.
Partnerin ausgewählt
Wir haben in Summe vier Firmen für die Zusammenarbeit angeschaut: Drei in Österreich und eine in Deutschland. Die Wahl fiel auf die InitOS GmbH, mit Sitz in Magdeburg, weil sie:
- viel Erfahrung mit Odoo Community Edition von Odoo haben und wir eine Open Source-Lösung aufbauen wollen
- gute Referenzen haben: Sie haben bereits mit SuperCoop Berlin kooperiert und wir stehen mit SuperCoop in engem Austausch
- eine vergleichsweise große Firma sind, die es seit 10 Jahren gibt mit heute über 15 Mitarbeiter:innen
Für die anderen Firmen war die Community Edition kein „Home Terrain“, sie konnten uns nur bei der Lizenzvariante, die Enterprise Edition, unterstützen und beraten.
InitOS war die einzige Firma, die uns auch von ihrer Open Source Haltung überzeugt hat – und sie haben gute Referenzen und viel Erfahrung.
InitOS verwaltet die Software, wir haben jedoch einen direkten Entwickler:innen-Zugang – so können und werden wir mitentwickeln. Das ist eher außergewöhnlich, so zusammen zu arbeiten. Und, wir haben Einblick, wir können immer alles Prozesse nachvollziehen.
Mit InitOS haben wir einen Servicevertrag und damit immer eine Ansprechperson. Auf dem Server werden zwei Odoo Instanzen aufgesetzt: Testinstanz und parallel die Instanz für den künftigen MILA Supermarkt. Alles wird sorgfältig aufgebaut und genauestens dokumentiert: InitOS gibt uns dafür klare Regeln vor.
Österreich-Spezifikum: Registrierkassa
Das Modul für die Registrierkassa haben wir von SUPPliot GmbH, mit Sitz in Groß Enzersdorf im Westen Wiens, zugekauft. Dies ist unerlässlich auch für die Testphase im Prototyp, da gesetzlich vorgeschrieben. SUPPliot bietet das Registrierkassa-Modul auch in der Odoo Community Edition an – allerdings nicht als Open Source, dass gibt es derzeit generell nicht in Österreich. So zahlen wir einmalige Lizenzgebühren und laufende geringe Wartungsgebühren. Selbst weiterentwickeln können wir dieses Modul daher aber leider nicht.
Zahlen mit Bargeld
Eine Option für später ist einen Bargeldautomaten anzudocken. Das kostet erst einmal Geld, könnte aber nach den Erfahrungen unserer Vorbilder notwendig sein: Wenn durch viel Bargeldzahlen bei stetig wechselnden mitarbeitenden Mitgliedern an der Kassa es öfters zu abweichenden Tagesabschlüssen käme. Schließlich ist es etwas anderes, ob ich jeden Tag an der Kassa sitze oder einmal im Monat für drei Stunden. Den Mitgliedern die Kassaschicht zu erleichtern war der Grund für die Coopérative La Louve in Paris, wie auch BEES Coop Supermarket in Brüssel einen Bargeldautomaten einzuführen. In Zeiten der Pandemie hat es einen weiteren Vorteil, das Bargeld hat nur Kontakt mit dem Automaten und wechselt keine Hände. Selbst Park Slope Food Coop in New York City überlegt eine anzuschaffen, das haben wir auf unsere Lernreise zu La Louve erfahren.
Buchhaltung
Ziel ist es die Buchhaltung vollständig in Odoo zu integrieren, anders gesagt: Einfach alles auf derselben Plattform zu haben – ohne Schnittstelle ist einfach praktischer, da mit jedem Verkauf eine Buchung erfolgt. Daher haben wir mit dem Buchhalter von InitOS eine Taskforce Buchhaltung gegründet und bereits einen gemeinsamen Workshop gemacht.
Einzig die Zahlen für die Steuererklärung werden exportiert und diese extern gemacht. Langfristig ist angedacht hierfür eine Schnittstelle zu BMD zu schaffen, einer weit verbreiteten Software für die Steuerberechnung einer alteingesessene Firma mit Hauptsitz in Steyr: Das Kürzel zeugt von den Anfängen: BMD Büromaschinen für Datenerfassung.
Team, dass die Auswahl für MILA traf
Wer ist wir? Wir ist die Arbeitsgruppe AG IT/Digitales, die in den letzten Monaten intensiv daran gearbeitet hat. Mit dabei waren vor allem, aber nicht nur – in alphabetischer Reihenfolge:
David bringt viel Erfahrung aus seiner Arbeit in Bio-Supermärkten und deren Software-Systeme mit. Er kennt viele Menschen und hat viele Verbindungen aufgebaut, wie beispielsweise den intensiven Austausch mit Berlin.
Jennifer arbeitet als Prozessmanagerin in der Softwareentwicklung im Gesundheitsbereich und hat Erfahrung in der Position als Schnittstelle zwischen Softwareentwicklung, fachlichen Anforderungen und externen Berater:innen.
Joël ist Doktoratsstudent an der autonomen Universität in Barcelona und entwickelt derzeit ein Simulationsmodell zu Klimaschutzmaßnahmen. Er hat Programmiererfahrung mit Python, der Programmiersprache auf der Odoo basiert. Joël hat viel in der AG gezogen und den Prozess weitergetrieben – er ist auch unsere Schnittstelle für InitOS.
Martin will genauso etwas wie MILA in Klagenfurt gründen. Er ist 100-prozentiger Programmierer, ein professioneller Softwareentwickler. Er ist derzeit derjenige im Team der nicht nur Code schreiben kann, sondern es auch tut.
Sebastian hat sein Doktorat an der Universität für Bodenkultur Wien abgeschlossen: Zum Thema Lieferketten und Warenflüsse im Bereich Holz. Er bringt ein hohes Verständnis für Logistik mit. Er hat die MILA IT-Gruppe mitaufgebaut. Er kommt aus selbstorganisierten Gruppen und hat bereits die MILA-Wolke und die Kommunikation über das Forum federführend mit aufgebaut. Mit dem ERP-System hat er sich der nächsten anstehenden Aufgabe gewidmet und viel Spaß am Aufbau.
Severin hat früher beim größten österreichischen Microsoft Dynamics Partner gearbeitet und dort eine Branchenlösung für Finanzdienstleister mitentwickelt. Er ist Buchhaltungs- und Finanzexperte. Mit Ulla hat er die Taskforce Buchhaltung gegründet.
Ulla war jahrzehntelang in einem internationalen Industriebetrieb als Buchhalterin tätig und hat mit diversen Materialwirtschaftsystemen, ERP-Systemen, gearbeitet, wie: SAP, Oracle und „home made“-Versionen. Sie ist Expertin für effiziente Abläufe und Prozesse.
Was braucht es noch?
Das meiste, was wir uns vorgenommen haben wird mit dem Prototypen umgesetzt. „Kleinigkeiten“ werden noch zu lösen sein, wie Pfand und Skonto. Der Backup ist outgesourct, extern vergeben. Zudem braucht es Schnittstellen zu Lieferant:innen. Sodass die Artikel-Stammdaten von Lieferant:innen einfach übernommen und aktualisiert werden können.
Die Mitgliederverwaltung, wie auch die Schichtenverwaltung stehen noch an. Basisvorgänge werden jetzt gelöst. Da die Schichtenverwaltung wenig bis gar nicht mit den Waren- und Geldflüssen, also dem ERP-System kommunizieren muss, spricht vieles für eine einfache externe Lösung, die auch flexibler zu adaptieren ist. SuperCoop hat aus diesen Gründen selbst eine Open Source Lösung namens Tapir entwickelt, diese ist derzeit die beste Kandidatin. Die Coopérative La Louve hat die Schichtenverwaltung sehr aufwändig ins Odoo integriert.
Die entwickelte Lösung von SuperCoop könnte weiterentwickelt werden, sodass sie anwender:innenfreundlicher wird und ein schöneres Design bekommt. Auch außerhalb von SuperCoop wird Tapir schon eingesetzt: zum Beispiel von der CSA »Wirgarten«, einer solidarischen Landwirtschaft in Lüneburg, wie auch »Wirmarkt« in Hamburg – wir werden weiter Ausschau halten und Kontakt aufnehmen, um Nutzen für Viele zu generieren.
Was waren / sind unsere Anforderungen?
Was wird das System alles können (müssen)? Was war unsere Ausgangsbasis für unsere Arbeit in der AG IT/Digitales?
Open Source Lösung war die Vorgabe, weil wir mitentwickeln wollen.
Fünf Felder muss die Software abdecken bzw. Daten daraus integrieren:
- Artikel- und Lieferant:innenmanagement inkl. Lagerbuchhaltung: Sodass klar ist wer wann welche Artikel geliefert hat, wieviel wir davon noch auf Lager haben, wann nachzubestellen ist und vieles mehr
- Verwalten der Finanzen: Rechnungen, Wareneingang, Zahlungen, Monatsabschlüsse und Steuern, die wir bezahlt haben, sowie das Verwalten der Angestellten
- Verwalten der Mitglieder: Sodass hier die Mitglieder verwaltet werden, wie auch Mitglieder hier selbständig die Mitarbeitsschichten eintragen und wechseln können
- POS Point of Sale (Kassa): Sodass der Tagesabschluss an die Buchhaltung gesendet wird, die Hardware zur Software funktioniert, wie Barcode-Scanner, Kartenlesegerät, Waage, Bondrucker
Grafik: Verein MILA
Dieser Beitrag ist Ende März 2022 in den Neuigkeiten von MILA Mitmach Supermarkt erschienen.