Fallstudie MILA

Professor Dietmar Rößl, Leiter des Forschungsinstituts für Kooperationen und Genossenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien, lud mich ein, MILA Mitmach-Supermarkt e.G. als Praxisbeispiel zu beschreiben. Die damit einhergehende Reflektion, unterstützt den weiteren Aufbau von MILA.

Abstrakt

Das Fallbeispiel MILA Mitmach-Supermarkt e.G. bietet Einblicke in den Aufbau und die Entwicklung einer innovativen Genossenschaft in Wien, die im Lebensmitteleinzelhandel neue Wege beschreitet. Die Perspektiven einer Mitgründerin und einer Angestellten zeigen sowohl die Erfolge als auch die Herausforderungen dieses Projekts auf. Ende 2023 zählt die Genossenschaft rund 350 Mitglieder, von denen über 60 % Frauen sind. Eine bemerkenswerte Direktkreditkampagne im Herbst 2023 brachte über 400.000 Euro ein, was die finanzielle Basis für den weiteren Ausbau stärkte.

Der MILA Mitmach-Supermarkt versteht sich als Antwort auf die hohe Marktkonzentration im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel und bietet eine Alternative, die auf Gemeinschaft,
demokratischer Teilhabe und sozialer Verantwortung basiert. Die Mitglieder gestalten das Sortiment mit, arbeiten regelmäßig im Markt und treffen gemeinsam Entscheidungen. Dies schafft nicht nur ein Gefühl der Verbundenheit, sondern fördert auch die Transparenz und Nachhaltigkeit im Lebensmitteleinzelhandel.

Der Erfolg von MILA basiert auf der Nachahmung erfolgreicher Mitmach-Supermärkte weltweit, kombiniert mit einer klaren strukturellen Organisation und einer starken Gemeinschaftsorientierung. Trotz zahlreicher Herausforderungen, insbesondere in der Aufbauphase und in der Sicherung finanzieller Mittel, zeigt sich MILA als zukunftsweisendes Modell für gemeinschaftliches Wirtschaften, das soziale und ökologische Ziele miteinander verknüpft.

Vorwort

Das Fallbeispiel MILA wird durch zwei Interviews aus Mitte Dezember 2023 beleuchtet. Die Ich- Perspektive vermittelt Inhalte lebendiger – fiktive Ich-Erzählerinnen geben Einblicke, basierend auf Interviews, eingebettet in den Kontext.

Über die Interviewpartnerinnen

Brigitte Reisenberger, Gründungsmitglied der ersten Stunde, Vorstandsmitglied des Vereins MILA und Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit. Sie leitete lange Zeit »FIAN Österreich – mit Menschenrechten gegen den Hunger« und arbeitet als Campaignerin für Landwirtschaft und Gentechnik bei Global 2000.

Van Dien, Schnittstellenmanagerin im Projekt »Pilot Mitmach-Supermarkt« und daran anschließend Teil des Gründungsteams bis März 2024. Sie war jahrelang in der Kaffeebranche tätig und engagiert sich für fairen Handel und nachhaltige Produktion.

Über die Autorin

Beatrice Stude leitete als Kooperationspartnerin das Projekt »Pilot Mitmach-Supermarkt« und kam anschließend ins Gründungsteam von MILA. Früher arbeitete sie bei einem Bauträger. Seit 2016 begleitet sie als selbständige Stadtplanerin Projekte zu Nahversorgung, nachhaltiger Mobilität und Partizipation.

1 MILA für eine bessere Wirtschaft

1.1 Wo liegt das Problem?

Österreich verzeichnet im Lebensmitteleinzelhandel die höchste Marktkonzentration und die dritthöchsten Preise innerhalb der EU[1] im Jahr 2019. Drei Supermarktketten dominieren den Markt mit einem Anteil von 84 Prozent, die Top-Fünf auf 95 Prozent 2023[2]. Zwischen 2023 und 2024 stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel weiter stark an, zum Beispiel für Kartoffeln um 46 Prozent[3].

Für Konsument:innen bleibt oft unklar, wie viel ihres Geldes bei den Bauern ankommt. Seit 1995 haben fast 40 Prozent der Bauernhöfe in Österreich aufgegeben[4]. Häufig können sie von ihrem Einkommen kaum existieren[5].

Jeder dritte Mensch in Österreich ist armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Besonders betroffen sind Kinder, Alleinerziehende, Arbeitslose und Frauen in der Pension[6]. Diese Gruppen vereinsamen zunehmend, was ihre Lebenserwartung[7] um 10 Jahre verkürzt.

1.2 MILA: gut, günstig und mitgestaltbar

MILA Mitmach-Supermarkt verbindet Qualität, Mitbestimmung und soziale Verantwortung. MILA steht für gutes Essen, günstige Preise und nachhaltiges Miteinander. Jede:r kann Mitglied werden.

1.2.1 Du hast es geschafft – MILA verbindet

Meine Mutter hat viele Umstände auf sich genommen, um trotz des schlanken Geldbörsels gute Lebensmittel zu besorgen. Dafür hat sie viel Zeit investiert, die sie eigentlich gar nicht hatte – sie hätte von MILA profitiert. Ich hab als Kind oft das Gefühl gehabt, dass es so ein Klassenmarker ist: Bestimmte Schichten haben Zugang zu guten Lebensmitteln, andere nicht: Es ist dieses Gefühl, wenn man sich gute Lebensmittel leisten kann – dann hast du es geschafft!

Gutes Essen ist mir wichtig: Ich bin am Land aufgewachsen. Und bei uns gab es lebensmittelverarbeitende Betriebe, eine Kaffeerösterei und eine Fleischerei. Die Nachbar:innen rechts von uns hatten Kühe und Hühner, die links von uns Gänse, wir hatten Gemüse im Garten. Ich hab schöne Erinnerungen an gemeinsames Essen: Höhepunkte in meiner Biografie sind sicher mit Essen verbunden.

Viele gesellschaftliche Probleme lassen sich auf Anonymität und Entfremdung zurückführen. Wer weiß eigentlich, wo die Lebensmittel genau herkommen? Die Produzent:innen sind anonym, die Kassierer:innen und meine Nachbar:innen oft auch. Ich glaub, dass man sich dadurch nicht mehr verbunden fühlt. Doch gerade Essen und Lebensmittel haben das Potenzial, Verbundenheit zu schaffen – an einem Ort der Begegnung, an dem man gemeinsam wirkt. Daher ist MILA ein absoluter Gewinn: Für die Menschen, das Grätzl, eine Stadt – ja, für die ganze Gesellschaft.

1.2.2 Ein praktischer Ort mit Mitbestimmung – MILA wirkt

Ich hab auf politischer Ebene zu kleinbäuerlicher Landwirtschaft und Ernährungssouveränität mit der Nyeleni Bewegung und der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer:innen-Vereinigung gearbeitet. Jetzt wollte ich ganz praktisch einen Unterschied mit MILA machen. Denn MILA vereint für mich das Kleinbäuerliche, eine klimagerechte Landwirtschaft und das Recht auf Nahrung, sowie einen praktischen Ort und Mitbestimmung zu haben.

Im Mai 2022 wurde der MILA Minimarkt als Testbetrieb in Ottakring eröffnet: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich in den Minimarkt gehe, dort tolle Sachen kaufen kann, und neue Leute kennenlerne – dass wir so einen Ort geschaffen haben, da bin ich voll glücklich und stolz. Denn die Tafeln, Sozialmärkte und damit Verletzungen des Menschenrechtes auf Nahrung sind in Österreich mehr und mehr gegeben – es ist kein Problem des globalen Südens mehr: Die Armen bekommen die Überschüsse und Spenden – das hab ich immer als sehr unbefriedigend gefunden.

Jetzt, wo der Aufbau von MILA voranschreitet, wird sichtbar, dass wir indirekt auch auf politischer Ebene wirken. Für den Aufbau bewerben wir uns um Förderungen und bei Wettbewerben – oft ist derzeit unklar ob Genossenschaften anerkannt werden. Hier sorgen wir dafür, dass sich das ändert. Wir beeinflussen durch unser Tun und zeigen das MILA Soziales, Klima und rechtliche Ansprüche miteinander verknüpft.

1.2.3 Zehn Dinge, die MILA ausmachen

  1. Supermarkt: MILA ist ein Supermarkt und kein kleiner Greißler.
  2. Vollsortiment: Alles für den täglichen Bedarf findet man bei MILA.
  3. Qualität der Produkte: Der Fokus liegt auf biologischen und regionalen Lebensmitteln, zudem gibt es auch konventionelle Produkte.
  4. Sortiment mitbestimmen: Jedes Mitglied kann Produkte vorschlagen, nichts ist grundsätzlich verboten.
  5. Herkunft der Produkte: MILA bezieht die Produkte zu fairen Preisen von Bäuer:innen, bäuerlichen Genossenschaften, und auch vom Großhandel.
  6. Niedrige und transparente Preise: MILA hat einen festen Aufschlag von 30 Prozent auf alle Produkte, dies finanziert den Betrieb.
  7. Vielfältiges Sortiment: Das Sortiment vereint soziale und ökologische Anliegen.
  8. Mitmachen: Alle Mitglieder wirken alle 4 Wochen für 3 Stunden im Supermarkt mit. Niemand kann sich freikaufen.
  9. Mitbestimmen: Richtungsweisende Entscheidungen werden von allen Mitgliedern in der Generalversammlung gemeinsam getroffen.
  10. Klare Entscheidungsstrukturen: Operative Entscheidungen liegen in den Händen der hauptamtlichen Mitarbeiter:innen.

2 Wie können wir gemeinsam Wirtschaften?

MILA in Wien zeigt, wie eine Genossenschaft durch das Nachahmen erfolgreicher Mitmach-Supermärkte in New York und Paris ihren eigenen Weg findet. Dabei setzt sie auf Gemeinschaft und demokratische Teilhabe.

2.1 Innovation durch Kopieren

Unser Motto: Wir kopieren alles, was bei den anderen Mitmach-Supermärkten weltweil gut funktioniert! Denn, warum sollten wir das besser wissen? Das gemeinsame Besitzen und Mitbestimmen, wie auch das Mitmachen, das stand nie zur Debatte. Dafür wollten wir eine Genossenschaft gründen. Alle anderen Mitmach-Supermärkte sind so organisiert, wie die Pioniere Park Slope Food Coop in New York City; die Cooperative La Louve in Paris.

Dabei war es sehr hilfreich, dass wir von der Wirtschaftsagentur Wien gefördert wurden. Mit dem Geld konnten wir Lernreisen zu Mitmach-Supermärkten in München, Paris, Lille, Brüssel und Berlin unternehmen. Vor Ort haben wir mitgemacht, viele Fragen gestellt und von Paris und Berlin auch Videos mit unseren Eindrücken mitgebracht – und pflegen teils regen Austausch. Zudem bauten wir das Warenwirtschaftssystem auf, schrieben die Genossenschaftssatzung. Weitere Förderungen, wie von AWS, FFG und KLIEN[8], ermöglichten ein Kernteam zu finanzieren und ein Büro anzumieten.

Zunächst haben wir einen Verein gegründet, um die Leute zusammenzuhalten und dem Ganzen einen demokratischen Rahmen zu geben – das geht schnell und einfach. Dagegen haben wir Genossenschaft erst einmal lernen müssen. Im Februar 2024 war es dann soweit und wir haben MILA Mitmach-Supermarkt e.G. gegründet. Rückblickend würde ich die Genossenschaft früher ins Leben rufen, da die Leute dann noch einmal Mitglied werden müssen – das ist eine mühsame Kommunikationsaufgabe.

2.2 MILA Minimarkt – der Praxistest

Im Minimarkt als Testbetrieb wird für den Supermarkt erprobt: Die Kassa mit Warenwirtschaftssystem, die Mitmach-Schichten und Abläufe, um dann im Supermarkt ausgerollt zu werden. Den Minimarkt gibt es, weil wir, die MILA-Mitglieder, ihn betreiben. Es funktioniert, obwohl die Mitmach-Schichten im Testbetrieb freiwillig sind. Das Praktische, im Minimarkt operativ tätig zu sein, das taugt mir, weil das ist der ganz konkrete Bezug: Ich kann ganz schwer über etwas kommunizieren, wo ich mir nicht selber die Hände schmutzig mache.

Mein erster Ferialjob als Jugendliche war an der Kassa. Ich fand es extrem stressig: Warum geht’s nicht schneller? Das kostet doch soundsoviel? Muss ich die Differenz bei der Abrechnung aus eigener Tasche zahlen? Dann kam mein Aha-Erlebnis bei MILA: Wenn du dich nicht auskennst, ist jemand im Laden, der dir weiterhelfen kann – alle sind Mitglieder und saßen zumeist schon mal an der MILA-Kassa. Bis jetzt hat mir noch keiner Stress gemacht. Ganz im Gegenteil, in der Mitmach-Schicht an der Kassa gestaltest du die Atmosphäre im Geschäft mit. Hier wird du bereichert um Begegnungen im Alltag.

2.3 Wir sind Wirtschaftstreibende

Du bist nicht nur Mitglied bei MILA, sondern du bist ein Teil davon! Das geht – auch emotional – einen Schritt weiter. Denn du bist aktiver, du betreibst mit und trägst bei: Es entsteht »Ownership« und ist »Empowering«, die Menschen machen sich MILA zu eigen und fühlen sich ermächtigt: Sie gestalten Wirtschaft und steigern dabei gleichzeitig ihre eigene Lebensqualität.

Wir sind Wirtschaftstreibende, im Gegensatz zu Vereinen, in denen die Möglichkeiten zu wirtschaften begrenzt sind. Als Genossenschaft haben wir da weit mehr Kraft: Wir dürfen wirtschaften – mit viel Teilhabe und Demokratie! Zudem sorgt die externe Kontrolle für Transparenz und prüft inwieweit der Förderauftrag für die Mitglieder erfüllt wird – alle zwei Jahre ist im Gesetz eine Revision vorgeschrieben.

Unsere Grundhaltung ist eine andere, die Genossenschaft als Rechtsform gibt die Struktur und ermöglicht erst gemeinschaftliches Wirtschaften: Anstatt dass sich Wenige an Vielen bereichern, machen Viele mit, so dass Viele mehr haben.

3 Fazit

3.1 Wichtig für die Entwicklung

Wichtig war, dass wir von Anfang an sehr klar gewusst haben, was wir wollen: Eine Genossenschaft mit drei Grundpfeilern. Erstens, verpflichtende Mitarbeit. Zweitens, der Standort in Wien. Drittens, nicht nur Bio-Produkte verkaufen. Daran wurde nicht mehr gerüttelt. Wir fokussierten auf Konsument:innen, die sich organisieren. Zudem gaben wir uns relativ schnell einen Namen, um eine gemeinsame Identität zu schaffen. Ein entscheidender Schritt war, den Minimarkt als Treffpunkt zu haben. Damit hat MILA als Community ein Ort bekommen.

Vorher war MILA ein Zoom-Projekt – es war Corona-Pandemie. Monatelang arbeiteten die Leute in Arbeitsgruppen zusammen, ohne sich je physisch zu treffen. Die Überraschung war groß, als wir uns dann im Minimarkt begegneten: »Ach, du bist Brigitte?! Ich dachte, du bist größer.« Der Minimarkt spielte und spielt eine zentrale Rolle – nicht nur, um Prozesse für den Supermarkt zu testen, sondern auch als Treffpunkt zum Plaudern. Denn, wie sollen Arbeitsgruppen fünf Jahre lang an einem fiktiven Vorhaben arbeiten? Die Leute wollen endlich die tollen Salate und günstigen Kartoffeln kaufen, statt nur darauf zu warten.

3.2 Herausforderungen

Es gab unangenehme Momente, wo ich mich gefragt hab: Kann ich die Energie, die ich hier reinstecke, noch rechtfertigen? Bei mir selbst, aber auch gegenüber meiner Familie? Die Aufbauarbeit nimmt viel Zeit in Anspruch. Viel Raum auch im Kopf. Herausfordernd war die finanzielle Unsicherheit im Team: Bekommen wir die nächste Förderung? Wie lange sind wir angestellt? Geht das in die Stundenabrechnung oder machen wir es ehrenamtlich?

Es hat sicherlich mal Momente gegeben, wo ich mir gedacht hab, dass ist jetzt sehr viel Arbeit. Und manch frustrierender Moment war auch dabei: Wie im ersten halben Jahr, als Leute aus dem Vorstand ausgestiegen sind und wir gemerkt haben, dass geht irgendwie nicht zusammen. Da hab ich mich immer als ein Teil von der Gruppe gesehen, die dann Krisensitzungen einberuft, um zu schauen: Wie geht’s jetzt weiter?

3.3 Mitgestalten erzeugt Gemeinschaft

Je größer die Gemeinschaft wird, desto schwieriger wird es, persönlichen Beziehungen zu pflegen oder erst einmal herzustellen. Es ist wichtig, dass die neuen Mitglieder gut aufgenommen werden. Dafür gibt es derzeit Angebote: Komm doch mit in eine Arbeitsgruppe! Komm doch in den Minimarkt zum Punsch trinken!

Ich glaube, dass das Teilen von Erlebnissen über einen längeren Zeitraum hinweg erst zu diesem Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein, führt: Insofern finde ich es auch so wichtig, dass man alle 4 Wochen für 3 Stunden mitmacht – weil man dann gestalterisch tätig ist. Wir holen nicht nur ab, und konsumieren nicht nur passiv, sondern wir gestalten mit – und das erzeugt das Gemeinschaftsgefühl.

Die Arbeit im Mitgliederbüro hat mir viele Einblicke gegeben: Warum die Menschen Teil von MILA werden und warum sie schlussendlich bleiben, ist nicht immer ident. Antworten, wie »Es macht mich einfach glücklich!« oder »Das ist für mich wie ein Hobby, wie Freizeit, ich komm urgern her.« oder »Dann mach ich meine Schicht für Lebensmittel, und komm ins Plaudern und keiner stresst mich.«, das waren Aussagen die öfters kamen.

Wir wurden schon gefragt: Ihr wirkt so, als wärt ihr so eine eingeschworene Truppe – kanntet ihr euch alle vorher? – Nein, der überwiegende Teil sind MILA-Bekanntschaften. Auch die Tatsache, dass wir uns gegenseitig zu privaten Partys einladen, ist das Ergebnis des gemeinsamen Tuns bei MILA.

3.4 Klar strukturiert, ohne Gremien

Fragen, die oft in Arbeitsgruppen gestellt werden: Dürfen wir das jetzt entscheiden? Was dürfen wir entscheiden? Zum Beispiel, von wem müssen wir den Newsletter absegnen lassen? Von wem den Punschstand? – Von niemandem! Wenn sich die Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit beziehungsweise die Arbeitsgruppe Veranstaltungen einig ist, dann wird das einfach gemacht. Manchmal erwarten Leute, dass es da noch große Über-Gremien gibt, die über alles absegnen. Gremien gibt es bei MILA nicht.

MILA ist klar strukturiert. Ich weiß, wer für was zuständig ist, was diese Personen entscheiden können und was nicht, und wo welche Fäden zusammenlaufen. Das haben wir geschafft. Dazu gehört eine Gewaltenteilung, die geachtet wird. Das ist unsere Organisationskultur, mit der alle behutsam umgehen. Wir haben ein gutes Demokratiebewusstsein. Ich denke, wir entwickeln MILA im Gehen.

Wir haben die Strukturen sehr behutsam aufgebaut und gut durchdacht. Ich vertraue den handelnden Personen, dass wir unsere Strukturen immer wieder überprüfen. Wenn wir merken, dass die linke Hand nicht mehr weiß, was die rechte Hand macht, reagieren wir schnell und etablieren einen Koordinationskreis, in dem alle Arbeitsgruppen zusammenkommen. Da vereint sich notwendiger Pragmatismus – schnell und unkompliziert zu agieren – mit Sensibilität, um keine machtvollen Positionen zu schaffen.

Ich habe gemerkt, dass die Arbeitsatmosphäre und der Umgang anders sind: Hierarchien spielen keine große Rolle. Und, dieses wertschätzende Miteinander hab ich auch unter den MILA-Mitgliedern beobachtet. Man ist mir auf sehr persönliche Weise begegnet. Zudem ist MILA ist ein Baby von ganz Vielen und da stecken ganz viele Emotionen drinnen.

Die Bereitschaft, Probleme und Konflikte zu lösen, ist da. Und auf eine Weise, die mir angenehm ist. Es ist wichtig zu sehen, wie eine Gemeinschaft mit Konflikten und Problemen umgeht und die unterschiedlichen Arbeitsweisen berücksichtigt. Konflikte und Probleme werden bei MILA gesehen, und es finden sich immer welche, die sich darum kümmern.

4 Wie entstand MILA, wie kamst du zu MILA?

Anfang 2018 hörten einige Leute von einem partizipativen Supermarkt in Frankreich. Ich hab mir gedacht, voll cool, sowas brauchen wir in Wien auch. Dann hab ich gehört, das will in Wien will auch wer aufbauen, damals lief das unter dem Namen »Fette Beute«.

Wir beschlossen, Tom Booth, einen der Gründer des Mitmach-Supermarkts La Louve in Paris, einzuladen. Und dazu Interessierte aus Wien, um das Vorhaben voranzutreiben. Tom kam dann Anfang November 2019 zur Tagung zu Ernährungssouveränität nach Linz, die von FIAN und ÖBV organisiert wurde. – Letztlich haben wir uns damit selber inspiriert!

Wir, das waren vor allem Julianna Fehlinger, zu dem Zeitpunkt Geschäftsführerin der ÖBV-Via Campesina Austria, der österreichischen Berg- und Kleinbäuer:innenvereinigung; David Jelinek, damals im Vorstand der ÖBV und ich, Brigitte Reisenberger, Geschäftsleiterin bei FIAN Österreich – Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung.

Zwei, drei Wochen nach dem Forum haben wir uns im Café Prückel mit ein paar anderen Leuten getroffen und beschlossen einen Verein gründen. Im Jänner 2020 war Vereinsgründung. Drei Jahre später, im Februar 2023, erfolgte die Genossenschaftsgründung: MILA Mitmach-Supermarkt e.G.

Zum ersten Mal von MILA gehört, hab ich im Lockdown. Ein Artikel im Standard berichtete darüber, der war vor allem eines: Sympathisch. Ich hab mir die Webseite angeschaut und da gab es dieses Foto mit 20, 30 Menschen mit Einkaufswagen in einem Park – und die haben sympathisch ausgeschaut, nicht elitär, sondern irgendwie nahbar – und die Sprache war ansprechend.

Ich hab mich dann zum Infogespräch angemeldet, das war damals noch per Zoom: Cooles Konzept, coole Leut’, aber ganz verstanden hab ich das Konzept noch immer nicht. Nach einiger Zeit veröffentlichte MILA eine Stellenanzeige. Ich bewarb mich und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Gespräch war schwierig, weil alle Masken getragen haben. Aber was immer geblieben ist, ist das Gefühl, dass da extrem engagierte Menschen sind.

Es ist die Kraft von Netzwerken, und das nutzt MILA sehr gut. Jede:r bringt Erfahrungen, Ideen, Netzwerke, geistige Fähigkeiten und emotionale Intelligenz ein. Das ist unser Kapital.

Nachwort

Der Aufbau von MILA schreitet voran. Wir arbeiten intensiv am Supermarkt Standort, daran, weiteres Geld aufzustellen und werben um neue Mitglieder.

Wer gern ein Teil von MILA werden möchte, kann regulär für 9 Anteile zu insgesamt 180 Euro Mitglied werden., Menschen mit geringem Einkommen können einen Anteil für 20 Euro erwerben.

www.mila.wien/mitmachen/mitglied-werden

Berichte zu unseren Lernreisen zu Mitmach-Supermärkten in Europa gibt es über: FoodHub in München, La Louve in Paris, BeesCoop in Brüssel, Superquinquin in Lille und SuperCoop in Berlin – wie auch Ums Egg die Dorfgenossenschaft im oberösterreichischen Losenstein.


Foto: Zoe Opratko

Der Beitrag wurde im August 2024 als Praxisbeispiel auf der Homepage der Wirtschaftsuniversität Wien veröffentlicht.

Weitere Informationen

  • [2] https://www.regiodata.eu/oesterreich-lebensmittelhandel-umsatz-bleibt-auf-erfolgskurs/
  • [1] https://www.dossier.at/dossiers/supermaerkte/supermarkt-superlative/land-der-supermaerkte/
  • [3] https://www.derstandard.at/story/3000000216440/die-supermarktpreise-sind-in-oesterreich-massiv-gestiegen-und-keiner-weiss-so-wirklich-warum
  • [4] https://www.perspektive-landwirtschaft.at/
  • [5] https://www.kleinezeitung.at/steiermark/6301229/Was-Bauern-verdienen_Wir-sind-naeher-dran-am-Ende-der
  • [6] https://www.armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html
  • [7] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230516_OTS0054/wie-einsam-ist-oesterreich-caritas-und-magenta-praesentieren-neue-sora-studie-und-ziehen-bilanz-zu-projekt-plaudernetz
  • [8] AWS Austria Wirtschaftsservice, FFG Österreichische Forschungs- und Förderungsgesellschaft, KLIEN Klima- und Energiefonds