Jetzt, als Folge der Corona-Krise, wollen sich mehr Menschen wieder Selbstversorgen – aber wie gelingt das in der Stadt? Selbst anbauen, mithelfen und Teil einer Gemeinschaft werden, die eine*n versorgt? Doch dazu braucht es Platz – ein Stück Land, wo das Essen wachsen kann.
Auf Balkonen werden Zucchini, Paradeiser und Kürbisse angebaut. Wer keinen Balkon hat, kann Mitglied in einem Gemeinschaftsgarten werden oder gründet selbst einen. Die Flächen fürs Stadtgärtnern – auch urban gardening genannt – wachsen: Hochbeete statt Abstandsgrün vor Schulen und Supermärkten oder auf städtischen Plätzen am Asphalt. Doch in den heißer werdenden Sommern muss fast jeden Tag gegossen werden: Was tun während des Sommerurlaubs, der Dienstreise oder wenn die Zeit einfach fehlt? Denn selbst anbauen ist viel Arbeit – egal wo es stattfindet.
Alles eine Frage der Organisation?
Hat jede*r im Gemeinschaftsgarten ein Beet für sich, dann sind die Zuständigkeiten klar und alle können eigenständig loslegen. Ein Miteinander gedeiht, wenn die handelnden Personen dafür sorgen: gemeinsam Feste feiern oder sich gegenseitig beim Gießen unterstützen: So zum Beispiel bei den Mintzgärtner*innen im Nordbahnviertel in Wien. Sie haben auf ihren 300 Quadratmetern auch eine Naschhecke entlang des Zaunes gepflanzt – für die Schulkinder und die Menschen im Grätzl.
Haben jedoch alle einen ideellen Anteil am Garten, fühlen sich alle für das Gesamtprojekt zuständig. Dann werden die Aufgaben von Anbeginn verteilt: Eine ist für die Zucchini zuständig, ein anderer für die Paradeiser und eine dritte für die Kürbisse – hier bauen die Mitglieder für- und miteinander an. Wer zur Pflege vor Ort ist, darf etwas ernten und mitnehmen. Wer einmal nicht gießen kann, organisiert Ersatz: Die Gruppenfunktion in den Nachrichtendiensten am Telefon erleichtert die Organisation heutzutage immens. Davon hat mir meine Ärztin begeistert berichtet, sie ist in der Corona-Krise Mitglied bei den Lobauer*innen in der Donaustadt in Wien geworden: 4.000 Quadratmeter Garten werden dort gemeinschaftlich bestellt.
Was machen jene, die nicht gärtnern,
aber Verantwortung für ihre Versorgung mit Lebensmitteln übernehmen wollen? Sie können Mitglied einer Gemeinschaft werden, die sich versorgt, dort einen finanziellen Beitrag leisten und mit ihren anderen Talenten unterstützen: Ouvertura ist so eine Gemeinschaft, eine solidarische Landwirtschaft, die neben dem Notwendigen für den Anbau auch den Lohn für einige Angestellte gemeinschaftlich finanziert. Zwei der Initiator*innen von Ouvertura waren zuvor bei den Lobauer*innen. Sie wollten die Selbstversorgung auf die nächste Stufe heben und gründeten Ouvertura – bewusst mit komplementärem Angebot zu Gemüse. Heute, im vierten Jahr, versorgen die Bäuer*innen von Ouvertura bereits 101 Mitglieder: Dafür bewirtschaften sie 12 Hektar Ackerland, also 120.000 Quadratmeter – fast zweimal die Fläche des Wiener Stadtparks.
Ouvertura produziert Weizenmehl, Einkornreis, Eier und vieles mehr, auch Verarbeitetes wie Bärlauch- und Pilz-Pesto, Steckrüben-Sellerie-Salat oder Marille-Kürbis-Ribisel-Fruchtdessert. Die Köstlichkeiten werden direkt aus Moosbrunn, wenige Kilometer südlich von Wien, zum Abholen für die Mitglieder an die Kistl-Verteilerstandorte oder zur Freien Entnahme an den Naschmarktstand geliefert.
Denn, was ist die Alternative?
Abhängigkeit – die hat die Corona-Krise zur Genüge aufgezeigt: Vieles wird aus dem Ausland importiert, obwohl es auch hier wachsen und produziert werden könnte. Lebensmittel aus Österreich werden exportiert, obwohl oft nicht genug davon da ist. Wer hat in der Erntezeit nicht schon vergeblich nach österreichischen Paradeisern, Kürbissen oder Zucchinis im Supermarkt gesucht? Wer dazu noch Bio-Qualität will, geht oft leer nach Hause. Die fünf großen Supermarkt-Ketten in Österreich haben eine Marktdominanz von 93 Prozent – damit bestimmen sie unser Essen – das was wir kaufen können – und nehmen Einfluss, wie und wo es produziert wird.
Haben wir genug Land zum Selbstversorgen in Österreich?
Ein paar 100 Quadratmeter für Hochbeete sind meist schnell gefunden und bereitgestellt. Doch ein Dutzend Hektar für eine Landwirtschaft zu finden und zu halten, ist eine Herausforderung. Denn die Nachfrage nach Wohnraum in vielen Städten und deren Umland ist groß: Pachtverträge sind schnell aufgekündigt, wenn Spekulationsgewinn durch Baulandwidmung winkt. Dagegen brauchen Aufbau und Erhalt fruchtbaren Bodens Zeit – eine sinnvolle Fruchtfolge geht über ein Jahrzehnt.
Lebensmittelproduktion in und im Umland von Städten und Gemeinden versorgt vor Ort, schafft einen Bezug zum Essen und verringert Transportwege: Denn Straßenneubau zerstört jedes Jahr weitere Böden, und erstickt alles Lebendige im Boden unter Asphalt. Der gesamte Bodenverbrauch in Österreich liegt aktuell laut Umweltbundesamt bei 44 Quadratkilometern pro Jahr, das sind 4.400 Hektar, wovon ein Drittel versiegelt wird: Zum Vergleich: das ist die Fläche von Eisenstadt oder des zweitgrößten Wiener Gemeindebezirks Floridsdorf.
Doch wie kann hier gegengesteuert werden?
Ein Teil des Landes, das Ouvertura nutzt und pflegt, ist seit 2019 in der gemeinnützigen ‚Munus Stiftung – Boden für gutes Leben‘ vergemeinschaftet: das heißt, es ist als fruchtbarer Boden gesichert und der Land-Spekulation entzogen.
Dieser Beitrag ist im Juni 2020 als Gastbeitrag zu Ernährungsraum Stadt auf Energie Transition 2050 – Klima- und Energiefonds erschienen.